Samstag, 28. Februar 2015

Der grüne Pass

Oder besser unauffällig der Norm folgen!

Dies war eine Erfahrung, die ich nur einmal in meinem Leben gebraucht habe. Sie hat mich fast 1000 Euro, drei Ferientage in Taiwan, ein verpasstes Sylvester-Dinner und ein verloren gegangenes Neujahrsfeuerwerk in Kaohsiung gekostet.

Luo You wurde am 29. Dezember 2014 nicht in den Flieger nach Taiwan gelassen, weil sein Pass nicht mehr die Mindestgültigkeitsdauer von 6 Monaten hatte. Vom 29.12.2014 bis zum 31.05.2015 sind eben keine 6 Monate, sondern nur 5 Monate und 2 Tage. Es wird tagegenau abgerechnet. Dass ich schon Mitte Januar 2015 zurück wollte, war unbedeutend. Das der für 10 Jahre Gültigkeit bezahlte Pass dann nur 9 Jahre, 6 Monate minus einem Tag zu gebrauchen ist, interessiert niemanden.

Völlig sinnlos ist es, beim „Online-Check-In" alle Daten von Personalausweisnummer bis Gültigkeitsdatum anzugeben und sich den „Boarding Pass" auszudrucken. Es gibt im „Online"-Verfahren keine Warnung, keine Zurückweisung, wenn die Gültigkeitsdauer des Passes nicht ausreicht. Eigentlich berechtigt der „Boarding Pass" dazu, direkt ins Flugzeug zu gehen. Nur noch am Gate könnte der Passagier abgefangen werden, wenn er nicht vorher beim „Baggage Drop" kontrolliert würde. Mit dem zu Hause ausgedruckten „Boarding Pass" geht der Passagier sogar das Risiko des „No Show" und dem Verlust eventueller Umbuchungsmöglichkeiten oder Rückerstattungen ein.

Eigentlich könnte der Hinweis schon beim Internet-Kauf des Flugtickets auf die (mangelhafte) Gültigkeitsdauer des Reisespasses kommen. Da werden nämlich auch schon die Passagierdaten eingegeben. Aber nichts kommt. Sind die traditionellen Reisebüros hier besser aufgestellt?

Natürlich, der mündige Bürger hat sich stets über alle Gesetze einschließlich der ausländischen seines Reiseziels zu informieren. Mea culpa! Mea culpa!

So ein Fall scheint am Frankfurter Flughafen öfter vorzukommen. Als Hilfsstellen für den Inhaber eines für das Ausland ungenügenden deutschen Passes gibt es die Bürgerämter der Frankfurter Umlandgemeinden, wie Hofheim im Taunus oder angeblich auch Kelsterbach. Noch waren es über zwei Stunden bis zum Abflug. Der Taxifahrer kannte des Problem, er kannte Hofheim. Für die genaue Adresse und zur Sicherheit, ob das Bürgermeisteramt geöffnet hat, rief er an. Ja, das geht. Ein neuer Pass mit Gültigkeit eines Jahres kann ausgestellt werden. Voraussetzung, so die Mitarbeiterin des Bürgeramtes, ist, ein Fax mit quasi dem Auftrag und der Bestätigung der Heimatbehörde, mir einen Pass auszustellen. Als ob mein alter, nicht mehr ganz 6 Monate gültiger Pass nicht ausreicht! Lichtbild, ja habe ich dabei. Nein, biometrisch muss nicht sein. Brückentag bei der Heimatbehörde? Nein, kann ich mir nicht vorstellen. 29. Montag, 30. Dienstag und erst Mittwoch am 31., Sylvester, ist bei den Behörden frei. Da ist keine Brücke zu bauen und im Übrigen hätte ich auch arbeiten müssen, wenn ich nicht Urlaub genommen hätte.

Ich sitze im Bürgeramt. Der Taxifahrer wartet davor in seinem schönen Benz auf dem vereisten, morgendlich kalten Rathausplatz des Ortes im „urban sprawl" vor Frankfurt. Drei Mitarbeiterinnen und ihre Chefin kümmern sich im wesentlichen um noch nicht abgehobene Flugpassagiere. Eine halbe Stunde dauert das etwa, prophezeite der freundliche Taxifahrer mit Migrationshintergrund. Schaun wir mal sagte ich. Im Bürgermeiseramt versucht die Verwaltungsmitarbeiterin die Telefonzentrale meiner Heimatstadt zu erreichen. Nur ein Anrufbeantworter. Die haben bis zum 3. Januar geschlossen. Wie? Da ist fast mein halber Urlaub um, das geht nicht. Wie können die nur? Gut, dass ich meinen Bürgermeister kenne. Rufen sie den an, bitte ich. Schnell googlet sie die Telefonnummer. Der schläft noch oder ist auf der Jagd oder sonst was, denke ich. Mehrere Anrufversuche scheitern.

Alles verhandeln nutzt nichts. Ohne Fax und Order aus meinem Heimatdorf kein Pass. Etwas von 110 Euro höre ich mit einem halben Ohr vom Nachbartresen fallen für den länger gültigen Sofort-Pass als Gebühr - erkennbar mit Top-Zuschlag - an. Wow!

Nach einer halben Stunde bin ich wieder am Taxi – ohne Pass! Wieder zurück, sage ich traurig zum Taxifahrer und „Scheiss deutsche Bürokratie!" Jetzt geht’s wieder darum, am Flughafenschalter zu überzeugen und zu verhandeln. Aber erstmal über 60 Euro fürs Taxi abdrücken. Flughafentarif, denke ich mir. Da kann ja der nette Taxifahrer nichts für, der wieder an die endlos lange Schlange anderer wartender Taxis aufschließt.

Womit keiner gerechnet hat, ich bin wieder zurück am Flughafen und immer noch ohne den mehr als 6 Monate gültigen, neuen Reisepass. Wieder zum Flughafenschalter, diesmal ein anderer Abfertigungsmitarbeiter. Oh, der Pass ist nicht mehr ganz 6 Monate gültig, nach Kaohsiung naja (Die Idee, dass es an so einem Kleinflugplatz keiner auf solche Feinheiten achtet, klingt irgendwie an.) … wie die „Airline" hat schon entschieden? Na, dann geht nichts mehr. Nein, Frau General von der „Airline" lässt sich nicht erweichen. Die Fluggesellschaft muss für die Fälle einer unzureichenden Passkontrolle eine Strafe zu zahlen, sagt der Flughafenmitarbeiter zu uns. „Was kosten?" Auf unsere Frage lässt sich niemand ein. Frau General sagt auf chinesisch der besten Ehefrau von Allen, dass es einfach wäre bei zu kurzer Gültigkeitsdauer des Passes über die taiwanische Vertetung in Deutschland ein Visum zu bekommen. Tja, wenn „Online-Buchung" oder zumindest „Online-Check-In" hier Hinweise gegeben hätten. „Hätte, hätte, Fahrradkette" nach Peer Steinbrück. Gab es aber nicht.

Wenigsten wurde mein Koffer noch mitgenommen. Der passte noch kilomäßig auf das Gewichtskonto meiner beiden Mitreisenden.

Während Ehefrau und Mutter in die Hartschalensessel beim Start gepresst wurden, döste Luo You im IC von Frankfurt nach Köln mit leichtem Gepäck und Deutschland als Wintermärchen hinter dem Fenster. Ein Alptraum!

So traumatisiert folgte zu Hause der Eigenversuch. Zunächst blicke ich auf die Rathaustür beim Fußweg vom Bahnhof. „Geschlossen bis zum 3. Januar" geht gar nicht! Dann folgt mein Anruf ins Rathaus hinein. Für Notfälle verweist der Anrufbeantworter auf eine Rufnummer bei der Feuerwehr. Klar ist das ein Notfall. Hatte die Mitarbeiterin im Bürgeramt in Hofheim nicht zu Ende die Ansage abgehört? Das ist doof. Also kommt der Anruf zur Durchwahlnummer bei der Feuerwehr. Ja, für mich gibt es einen Notdienst. Ich brauche ein biometrisches Passbild, Kosten etwa 10 Euro fürs Bilderset, etwa 30 Euro für die Passgebühr und natürlich den noch gültigen Pass. Für mich wird ein Notdienstteam zusammengestellt. Der Ehemann der Rathausmitarbeiterin, der mich zurückruft, sagt, dass seine Frau noch unterwegs ist und mich ein paar Minuten später anrufen wird. Das macht sie auch. Wir vereinbaren einen Termin um 17 Uhr. Vorher gehe ich zum Fotografen und Lebensmittel einkaufen. Der Kühlschrank ist urlaubsleer. Dazwischen ist noch Zeit für einen Döner und zum Ausheulen beim türkischstämmigen „Laoban" in meinem alten Stammlokal.

Um 17.30 Uhr bin ich wieder mit einem antiquiert wirkenden, rein deutschen und grünen Reisepass zu Hause sowie einem ungültig gestempelten, eigentlich noch bis Mai gültig gewesenen europäisch-deutschen, weinroten Reisepass in der Wohnung. Da hatte sich schon fast der Rückfahrt gelohnt bei 110 Euro Passgebühr, die in einem fremden Bürgermeisteramt angefallen wäre. Dafür hätten sie aber aber auch meine uralten Portaitfotos für das Passprovisorium genommen. Im Heimatdorf geht nur biometrisch: „Mit den anderen kommen Sie nicht weit."

Der Pass für den Europakritiker, Ablehner europäischen Gedankenguts und Anhänger der AFD. Grün wie die Hoffnung und deutsch wie die D-Mark. Fuck Europe! Leider ist der Nostalgie-Pass nur ein Jahr gültig. Meine Fingerabdrücke musste ich beim Merkel-System noch abdrücken. Und nichts dazu in der Lügenpresse! Ihr treibt mich noch in die Hände der Piraten, ihr menschenverachtenden Bürokraten!

Jetzt ein neuer Sitzplatz im Flieger. Verdammt, das Büro der „Airline" in Deutschland schließt um 17.30 Uhr. Da ist keiner mehr. Dem Online-Reisebüro ist das Ganze schwer zu erklären. „Warten Sie bis morgen", ist die Empfehlung. Will ich aber nicht. Ich will nach Taiwan. „Sie können auf zum Hauptsitz der Airline anrufen." Aber Taiwan schläft jetzt, denke ich. Außerdem gabs schon am Flughafen die Information, dass an den nächsten Tagen in deren Flugzeugen nichts frei ist. Also Email an die Ehefrau, die noch im Flieger über Sibirien sitzt. Und ein Hinflugticket einer anderen Fluggesellschaft, 500 irgendwas Euro. Hier ist es kalt, Taiwan ist warm. Alle sind in Taiwan, ich bin hier alleine. Ich will weg aus Deutschland.

Ein Tag Hausarbeit mit Putzen, Waschen, Pflegen, dann geht es wieder mit Rucksack nach Frankfurt.

Hin zum Airport geht es wieder mit dem schnellen ICE und dem „Rail & Fly"-Ticket.

Der „Boarding Pass" ist genau wie beim ersten Anlauf ausgedruckt. Jetzt kann nichts schief gehen und prima, damit kann ich direkt zum Gate. „Gate" geht aber nicht, weil das „Gate" auf den Bildschirmtafeln nicht angezeigt wird. Also frage ich am Check-In-Gepäckschalter.

„Wie kein Koffer?" Der ist schon in Taiwan, sage ich artig und denke, was für eine Verschwendung auf mehr als 20 kg Fluggepäck zu verzichten. Alles wird aufgenommen und geprüft. Als ich mich nun auf den Weg mache, höre ich hinter mir, „Herr Luo, Herr Luo!" Der netten, mir hinterherlaufende Dame von der Fluggesellschaft war spät aufgefallen das ich nur ein Hinflugticket habe. Irgendwie hatte ich das alles schon geahnt, als ich meine Ehefrau nötigte mir auch ein E-Ticket auszudrucken. Die beste Ehefrau von Ehefrau meinte, dass sie schon eins ausgedruckt hat, was reicht, und außerdem wäre es sowieso ein E-Ticket, was elektronisches Ticket heißt. Da braucht es kein Papier. Nun war ich froh, das Papier zu haben, um meine Rückkehrwilligkeit nach Deutschland einfach nachweisen zu können. So ist das in dieser Übergangsgesellschaft. Hinter jeden E steckt doch ein Stück Papier.

Knapp war die Zeit zum Umstieg in Hongkong. Aber die Route gefällt mir seit dem Erlebten deutlich besser.

In der Warteschlange vor dem Abflug nach Kaohsiung wurden Tickets und Pässe vorgeprüft. „No visa?", frug die kleine Angestellte. „No visa!", sagte der fast 1,85-cm-Mann aus dem nördlichen Europa. Ich stieg in den Flieger ein.

Die Spannung stieg. Wie werden die Vertreter der Taiwan-Behörden auf den deutschen Nostalgie-Pass reagieren? Laut Internet-Recherche sollte es zunächst ein „Temporary Entry Permit‟ geben. Danach war noch das Konsularbüro in Kaohsiung für ein richtiges Taiwan-Visum aufzusuchen. Und so lief es auch: Zunächst stellte ich mich ordentlich an und zeigte ein unschuldiges Gesicht für die Webcam zur Erfassung der Einreisenden. Vom normalen Kontrollpersonal wurde ich an den letzten Schalter für die Sonderfälle gebeten. Dort wurde wieder alles von einer höheren Beamtin aufgenommen und Chef-Chef musste das ungewöhnliche Dokument bestätigen. Neben dem üblichen Stempel im Pass gab es die vorläufige Einreiseerlaubnis und ein Merkblatt, was noch zu tun ist, um einen „bad report" in Taiwan zu vermeiden.

Eine kleine Verzögerung entstand beim zweiten Abdrücken meiner Fingerabdrücke an eine staatliche Organisation in meinem Leben. Warum nehmen die Totalitaristen nicht gleich meine DNA? Jedenfalls merkte die Mitarbeiterin nach dem dritten Scan-Versuch und der wiederholten Schulung des Einreisewilligen, wie die Finger richtig aufzudrücken sind, dass das High-Tech-Gerät, was dazu dient, Orson Welles alte Visionen endlich in die Wirklichkeit umzusetzen, noch gar nicht eingeschaltet war. Offenbar war ich an dem Tag der erste an diesem Schalter.

Natürlich will ich keinen „bad report" in Taiwan haben, deshalb frugen wir gleich am 2. Januar telefonisch im Konsularbüro an. Das hatte aber einen Brückentag. Bei der späteren Kontaktaufnahme wurde darum gebeten, doch nicht am Abflugtag sein Visum abzuholen. Das wird vermutlich, auch wenn es nicht zum „bad report" führt, als unhöflich und ignorant gegenüber der Staatsmacht angesehen.

Das Konsularbüro ist einem Verwaltungsgebäude in der Nähe des Liebesflusses in Kaohsiung untergebracht. Wie so oft in Verwaltungsdienstellen von Taiwan kam mir wieder der Gedanke an einen quirligen Ameisenhaufen. Trotzdem ging alles schnell und wohlgeordnet. In der Reihe der Schalter gibt es etwa mittig einen für die Ausländerangelegenheiten. Die meisten Besucher waren wohl da, um einen Pass der Republik China zu beantragen oder abzuholen. Die Wartenummer, die ich zog, führte jedenfalls zu prompter Bedienung, also wartete in so einer Angelegenheit niemand vor mir.

Horrende mehr als 60 Euro kostete das direkt entwertete Visa für 30 Tage Aufenthalt, die ich lediglich etwa die Hälfte ausschöpfte. Damit bekäme ich umgerechnet etwa drei Taiwan-Republik-China-Pässe mit geschätzt jeweils 10 Jahren Gültigkeit, wenn ich denn Taiwaner wäre. Wenn das keine Ausländerdiskriminierung ist, wenn das keine Strafe fürs unterlassene Zählen der Gültigkeitstage des eigenen alten Reisepasses ist!

Die erzieherische Wirkung ist eingetreten. Obwohl, das muss ich doch mit Blick auf die repressive Haltung der beiden Regierungen sagen, manchmal kleine Anlässe große Aufstände auslösen können, wie den am 28. Februar 1947, an den heute in Taiwan erinnert wird.

Trotz des hübschen Visums mit aufgedrucktem Bild einer taiwanischen, schelmisch-dreinschauenden Elster werde ich nie, nie wieder einem Online-Check-In-Verfahren vertrauen, immer alle Reisebedingungen auf den Botschaftsseiten und beim Auswärtigen Dienst lesen, auf jeden Bürgermeister innigst einreden, niemals an Brückentagen und schon gar nicht über fast zwei Wochen seine Verwaltung zu schließen.

Im März fliege ich nach Portugal. Das ist zwar ein Schengen-Land, trotzdem beabsichtige ich, wieder meinen grünen, deutschen und noch mehr als 6 Monate gültigen Pass mitzunehmen. Mit dem grünen Pass musste nämlich zeitgleich auch ein roter bestellt werden, es sei denn, man kann ein Rückflugticket vorlegen. Darüber zu diskutieren, hatte ich dann bei der Passausstellung keine Lust mehr, zumal ich sehr froh war, so schnell ein länger gültiges Dokument zu bekommen. Dabei wird der grüne Pass ohnehin ziemlich schnell wieder unbrauchbar sein. Spätestens Ende Mai benötige ich erneut einen neuen, dann den bestellten roten Pass für Taiwan, weil der grüne dann bereits wieder weniger als 6 Monate gültig ist. Zudem fällt mit dem grünen Dokument stets die atemberaubende taiwanische Visagebühr an. Insofern war die Vorbestellung eigentlich unumgänglich.