Montag, 10. September 2012

Im Mittelpunkt

Der Vergleich zwischen Deutschland und Taiwan führt irgendwann zu der unvermeidlichen Frage, was eigentlich im Mittelpunkt steht.

Der Mittelpunkt Deutschlands nennt sich Niederdorla, liegt irgendwo im reizlosesten Teil von Thüringen, in der Nähe umgeben von Plantagen und ökologisch wertlosen Baumschulpflanzen, die mit überzogenen Preisen zur Statusbildung veräußert werden, um die Grundstücksreste einfallsloser Bauträger- / Fertighausbauer-Einfamilienhäuser zu füllen, welche bereits in Sichtweite die ohnehin schon banale Landschaft bis zur Unerträglichkeit weiter banalisieren.

Was die deutsche Standardfamilie dort für ein Leben führt, deren Fluchten vermutlich nur aus dem Besäufnis zum Feuerwehrfest und beim Karneval bestehen oder im bekifften wochenendlichen Rasen auf der nächsten Bundesstraße im geschniegelt blitzenden schwarzmetallic BMW mit roten energiesparenden LED-Rückleuchten, dessen Leasingraten gerade beglichen werden können, lässt sich unschwer erahnen.

Die Feststellung, dass man im Mittelpunkt Deutschlands steht, war der Gegend am 24.02.1991 die Pflanzung einer „Kaiserlinde“ wert. Bei etwa 50 % Wahlbeteiligung wird wenig Wert auf demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten gelegt und monarchistische Anlehnungen sind da nicht verpönt.

Ob die Baumpflanzung aus dem Geldern des sogenannten „Solidaritätszuschlags“ gefördert wurde, der eigentlich ein ordentlicher Einkommensabschlag ist, um so sinnvolle Projekte wie den Tourismus in Niederdorla voran zu bringen? Wie das Bild zeigt, stand entsprechend der eventuellen Mittelbindung der imperiale Baum jedenfalls noch 16 Jahre nach der Pflanzung im Februar 2007.

Gegen die menschenleere mitteldeutsche Ödnis kommt Taiwan - im gleichen Jahr, zwei Monate später - mit einer gewissen Leichtigkeit und - wie so oft auf der Insel für den außenstehenden Betrachter - unbeabsichtigten Ironie auf den Punkt. Leute wandeln in verschiedene Richtungen scheinbar ziellos umher und ihr Blick zeigt, dass sie eigentlich schon an die nächste Mahlzeit, Garküche, Imbissstand, Snack, den Rest der Familie oder irgendetwas anderes denken. Digitalkameras saugen das Bild auf. Vernünftig wirkt nur der von allen verlassene Straßenhund, welcher sich das alles emotionslos ansieht. Dessen ungewisses Schicksal, das keine lange Lebenserwartung mit sich zu bringen wird, interessiert niemanden. Das höchstens kurzzeitig erregte Mitleid, schwindet schnell, wenn der Besucher wieder in den dichten Verkehr mit vielen Motorrollern, Taxis, Bussen, Lastern, Autos der vielbefahrenen Straße direkt neben dem Platz eintaucht.

Wahrnehmbar gemeinsam war beiden Orten ein dicker Stein, der unverrückbar bestätigte, dass die Suchenden selber im Mittelpunkt stehen. Denn die Zweifel an der Bedeutung solcher Punkte angesichts der eher willkürlichen Definition, technischen und tatsächlichen Meßbarkeit, der Veränderlichkeit staatlicher oder weniger staatlicher Gebilde, Motivation der Aufsteller sind enorm.

1 Kommentar:

  1. Sehr interessant. An beiden Orten ist sicher die Gelegenheit verpasst worden, irgendetwas typisches aufzustellen, z.B. die Geschichte zu subsummieren. Bei Deutschland also irgendwas mit Hitler, bei Taiwan irgendwas mit Cuo Dofu.

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