Tanztheater statt Fertigrasen
Noch ein Top-Kulturschaffender Taiwans war in Deutschland. Und wieder gab es die Chance, ihn zu sehen!
Auf der Rückreise von Berlin im April 2014 diskutierte ich mit meiner Frau im Zug, ob Fertigrasen in einem rückwärtigen Teil unseres Gartens gedeihen kann. Meiner Auffassung und allen Fachinformationen nach, ist Rasen in trockener Hanglage unter großen Bäumen das völlig falsche Gewächs. Ein Versuch mit einer Ansaat war schon gescheitert. Efeu, Storchenschnabel und andere schattenverträgliche Stauden, die auch Trockenzeiten überleben, sind das einzig geeignete Pflanzenmaterial zur Begrünung eines solchen Biotops. Meine Frau gehört zu den Taiwanerinnen, die sich durch Fakten nicht verwirren lassen. Und so wetteten wir beim Halt des ICE in Wolfsburg vor der im Sonnenschein strahlenden Autostadt und dem Erfolg, wie Selbstvertrauen verströmenden VW-Werk, um einen Kurzurlaub in der „Erlebnisstadt″.
Das VW-Werk und die Autostadt lockten. Die Blick aus dem ICE reizte zum Kurzurlaub im Zonenrandgebiet der niedersächsischen Provinz.
Natürlich scheiterte der Fertigrasenversuch. Der Rollrasenbauer hatte zwar gewarnt und gab schon den Tip, wenn er eingeht, können wir wieder bei ihm neue Matten kaufen. Wer nicht hören will, …. Naja, es lag es am falschen Boden, auf dem der Rasen angezüchtet war, oder am fehlerhaften Einbau durch den Ehemann, dass das geschlossene, satte Grün sich nach einigen Wochen rasch zurückzog und nur eine dunkle Bodenkrume blieb. Am Himmelfahrts-Wochenende 2015 bot jedenfalls das Programm in der Autostadt die beste Gelegenheit, die verlorene Wette einzulösen.
Dabei konnte ich auch nach Massimo Vitalis Fotostandpunkt in der Autostadt Ausschau halten. Wie absurd wir unsere Umwelt gestalten!
In der Volkswagens Kinderfahrschule werden den Kleinen die richtigen Marken nahegebracht, der Wunsch nach einem fetten Touareg oder Tiguan implantiert und Toleranz für Staus und die sensible Anfälligkeit unseres niedrigintelligenten, geradezu schwachsinnigen Verkehrssystems frühzeitigst eingeübt. Sprich: ein Unfall, ein Fehlverhaltens eines Verkehrsteilnehmers, irgendwo auf einer Autobahn in der Region reicht, um Hundertausenden von Menschen Stunden zu nehmen, Blechlawinen über die verworrendsten Wege zu schicken und die Hilflosigkeit dieser Gesellschaft bereits bei Alltäglichkeiten vorzuführen.
Der taiwanische Tänzer, Schriftsteller und Choreograf Lin Hwai-Min (林懷民) gastierte mit seinem „Cloud Gate″ Tanztheater beim Festival „Movimentos″ in der Wolfsburger Autostadt. Es gab vier Auftritte, davon zwei mit dem Werk „Reis″.
Ort der Aufführung mit feinster illuminierter Industriearchitektur war im umgestalteten ehemaligen Kraftwerk Süd, direkt am Mittellandkanal und ehemaligen Hafenbecken des VW-Werks in Wolfsburg gelegen.
Die Einführung gaben der künstlerische Leiter des Festivals Bernd Kauffmann und als Kulturberater Jürgen Wilcke.
Nach der ersten Worten durch Kauffmann referierte Wilcke über Lin Hwai-Min, und Taiwan. Einige kleine Irrtümer zu Taiwan in seinem Vortage konnte ich ignorieren, besonders da meiner Frau seine Präsentation gut gefiel. Nun sind das Verhältnis Taiwan – China – Deutschland und die Geschichte der Pazifikinsel auch nicht einfach. Und so ein Kulturberater soll bei so einem umfangreichen Festivalprogramm die vielfältigsten Themenbereiche abdecken, was schon beachtlich ist. Angesichts des schönen Abends und der Aufführung des Tanztheaters sind die kleinen Fehlerchen für mich bereits in Vergessenheit geraten.
Bernd Kauffmann konzentrierte sich auf das Werk selber. Der Reis, das wohl wichtigste Lebensmittel Asiens, steht im Mittelpunkt des Stücks. Lin Hwai-Min schaut nach Osttaiwan, auf Chihshang, wo seit sehr langer Zeit hochwertige Reis angebaut wird. Das Werden der Frucht, der Wechsel auf dem Feld, die Arbeit der Menschen und ihr Verhältnis zum natürlichen Prozess waren im Stück gut angesichts der Ausführungen von Kauffmann nachzuvollziehen. Sicher hat jeder seine eigene Interpretation und Sichtweise, was die die gezeigten Szene betrifft. Das muss nach nicht unbedingt in jedem Punkt der Auslegung Kauffmanns fogen, was auch okay ist. Jedenfalls waren wir froh, die Einleitung als Orientierung und durchaus auch spätere Grundlage für die eigenen Diskussionen mitbekommen zu haben.
Selbstredend waren alle Sitze ausverhauft.
Die Taiwan-Gemeinschaft in Deutschland trat aber nicht so Erscheinung, wie dies vielleicht an Veranstaltungsorten wie Berlin oder Düsseldorf der Fall gewesen wäre. Die asiatischen Besucher mit denen wir Kontakt hatten, so beim Frühstück im Hotel, stammten aus China. Dabei fällt auf, dass die jüngere chinesische Generation kaum noch von den Taiwanern in ihrer Altergruppe zu unterscheiden ist.
Mitschnitte aus der Aufführung „Reis″ zeigt die Autostadt über Youtube. Die Nähe und Qualität der Aufnahme spricht dafür, bei der Sitzplatzwahl nicht zu sparsam zu sein.
Langanhaltender Applaus für Lin Hwai-Min und das Ensemble zum Ende. Eine Pause gab es nicht. Die hätte auch den Fluss im Spiel und den Spannungsbogen unangenehm unterbrochen.
Das „Cloud Gate Dance Theatre Of Taiwan″ verabschiedete sich mit dieser Aufführung aus Wolfsburg.
Im April 2015 wurde dasCloud Gate Theater in Tamsui neu eingeweiht. Aus der Erfahrung meiner Jahre in Wuppertal, als Pina Bausch noch lebte, dürfte es schwierig sein, für ein international so erfolgreiches Tanztheater, das ständig auf dem ganzen Erdball gefragt und unterwegs ist, in der Heimatstadt, wo viel geübt und vorbereitet, wird Karten zu bekommen. Aber Ausstellungen und Gastspiele, die Lage und Architektur des Gebäudes können schon ein Grund sein, sich wieder auf den Weg nach Tamsui zu begeben.
Eine bequeme Rückfahrt bot die Fähre für die Theaterbesucher über den Mittellandkanal. Ohne lange Fußwege waren Zentrum und Parkplätze am Bahnhof schnell erreichbar. Genauso erfreulich war, dass vom Fussballspiele zwischen dem Vfl Wolfsburg und Borussia Dortmund nicht die von uns erwartete Spur der Verwüstung zurück geblieben war.
Alte Käfer begleiteten unsere Rückfahrt auf der ehemaligen Reichsautobahn. Die Brezelfenstervereinigung hatte das Wochenende zum Frühjahrstreffen in Wolfsburg genutzt.
Solche Phänomene wie das mit dem Rasen habe ich mittlerweile mit "unvorhersehbare Vorhersehbarkeiten" betitelt :-)
AntwortenLöschen