Sonntag, 28. April 2013

Onkel Mao

Der Postbote kommt!

Dank meines Alter konnte ich die Entwicklung des deutschen Briefträgers vom Beamten in Uniform, der noch die geistige Nähe zur kaiserlichen Post spüren ließ, zu den privatisierten Trägern eines konformistischen Corporate Design und Postzustellern, denen das globalisierte Lohn-Dumping auflauert, gut mitverfolgen.

Im Vergleich dazu geht es auf Taiwan recht léger zu. Auf einem ordentlichen grünem Motorrad, dem die Spuren täglicher schwer beanspruchender Nutzung anzusehen sind, sitzt der Postmann auf dem weißen Sattel, wie hier in Shangan.

Sein weißer Helm schützt ihn vor Sonne und den Gefahren des Verkehrs auf der Insel. Dabei stuft ihn sein grüner Overall, dessen Farbton vom Grün des Motorrades deutlich abweicht, mehr als Arbeiter ein, der irgendeine Reparaturaufgabe an Kabeln, Straßen, Fahrzeugen oder Schienenwegen zu erledigen hat. Der blaue Plastikbox auf dem Gepäckträger und die grauen Satteltaschen verstärken noch diesen Eindruck.

So ist er in den deutschen Augen weit von der amtlichen Handlung des staatlich überwachten Brieftransports entfernt. Kann das gut gehen? Sicher wird kein Taiwaner diesen Gedanken mit mir teilen können, denn der grüne Mann auf dem Motorrad ist elementarer Bestandteil des täglichen Lebens auf dem subtropischen Eiland.

Diesen Postboten taiwanischer Art reflektiert bestens Onkel Mao oder Mào bó (茂伯), eine Figur in einem der beliebtesten taiwanischen Spielfilme der letzten Jahre. „Cape No. 7“ erschien im Jahr 2008 in den Kinos. Die Rolle des Onkel Mao verkörperte hervorragend Johnny C.J. Lin (林宗仁).

Die Chance Opfer eines Verkehrsunfalls zu sein dürfte je nach Statistik und Definition in Taiwan doppelt so groß wie in Deutschland sein. Dank eines abgelenkten Busfahrers hat es hier Onkel Mao erwischt. Aber keine Sorge, er steht wieder auf.

Freitag, 19. April 2013

Eisenbahnarchäologie in Tung-Kang oder Dong-Gang (東港)

Für Rückfahrt von Kenting vergangenen März überzeugte ich die beste Ehefrau von allen den Weg über Tung-Kang zurück nach Kaohsiung zu wählen.

Was mich vor allem nach Tung-Kang zog, waren die Bilder einer netten Nebenbahn im ländlichen Taiwan. Vierachsige Dieseltriebwagen, die solo auf der Strecke pendelten, und Dieselloks der Baureihe S200, die lediglich mit einem Passagierwagen verkehrten, bildeten das regelmäßige Verkehrsangebot auf der Strecke. Die Abbildungen sah ich in der vorliegenden Literatur. Zu nennen sind hier „One Century Of Railways In Taiwan - Local Lines“ von Hung Chih-Wen (洪致文, auch Hóng Zhì Wén geschrieben) aus 2001 (ISBN 957-13-3285-2) und „台灣鐵路環島風情“ (Taiwans Eisenbahn rund um die Insel erleben - Besondere Strecken), verfasst von Sū Zhāo Xù (蘇昭旭) im Jahr 2004 (ISBN 986-7916-57-3). Mich bewegte die Frage, was noch davon übrig war, nachdem die Bahn endgültig im Jahr 2002 stillgelegt wurde.

Die Tung-Kang-Bahn zweigte von der Hauptbahn, die um Taiwan führt, südlich von Pingtung (屏東) bei Jhenan (鎮安, auch Zhen-An) ab. Sie führte zum Endbahnhof in Tung-Kang (東港 oder Dong-Gang), einer Stadt mit einem sehr großen Fischereihafen im Südwesten des Eilands.

Die Strecke wurde während des zweiten Weltkriegs unter japanischer Herrschaft gebaut, um eine dort eingerichtete Marinebasis ans Schienennetz anzuschließen. Eröffnet wurde sie am 19.7.1940. Die Zweigbahn hatte eine Gesamtlänge von 6,2 km.

Der letzte Personenzug zwischen Tung-Gang und Jhenan verkehrte auf der Eisenbahnlinie am 28.2.1991. Wenige Bilder erinnern an ihn.

Weil die Luftwaffe immer noch einen Stützpunkt in dem Gebiet nutzte, blieb noch ein Teilstück der Strecke bis zur Aufgabe der militärischen Nutzung in Betrieb. So wurde 2002 schließlich der Restbetrieb auf der Bahn aufgegeben. Heute ist der Flugplatz verfallen. Die militärischen Einrichtungen sind für private Zwecke umgenutzt. Nach dem Luftbild zu urteilen, befindet sich hier offensichtlich eine Rennbahn für Go-Carts, wie sie in Taiwan so oft in den letzten Jahren entstehen.

Nur noch wenig deutet auf den früheren Eisenbahnbetrieb hin. Bei Google Street View ist noch einem ehemaliger Bahnübergang, heute zugewuchert und vermüllt, in der Nähe des Abzweigs zum früheren Militärflugplatz zu entdecken.

In Tung-Kang ist das Bahnhofgebäude ist verschwunden. Vor Ort können die Reste des Bahnsteigs oder der Verladerampe ausgemacht werden. Immerhin heißt die Bushaltestelle noch „東港 火車站“ (Tung-Gang Bahnhof).

Angesichts des abgeräumten Bahnhofsgeländes fand die eisenbahnarchäologische Feldarbeit nur im Vorüberfahren statt.

Im Gegensatz zu meiner Erwartung ist das Gebiet also gar nicht mehr ländlich, sondern stark zersiedelt. Das Bahnhofareal wird von vierspurigen Straßen und einer dichten Bebauung umrahmt. Eigentlich könnte unter heutigen Bedingungen die Nutzung und Mobilität im Großraum Tung-Kang eine Reaktivierung des Bahnbetriebs rechtfertigen. Aber das Thema fehlt auf der Agenda von Taiwans Verkehrspolitik.

Wir konzentrierten uns zur Freude meiner Frau nun voll auf eine Besichtigung des berühmten Fischereihafens.

Im Vordergrund stand dabei die Verkaufshalle des Einzelhandels für Fisch und Meeresfrüchte, welche in Taiwan quasi Synonym des guten Essens sind. Nach dem großen Einkauf der empfindlichen Ware ging es dann kühl klimatisiert und zügigst zurück nach Kaohsiung zum heimischen Kühlschrank.

Donnerstag, 4. April 2013

Waiguoren - Noch mehr gefragt!

Was den Wunsch von Taiwanern nach gemeinsamen Fotos und Konversationen mit Ausländern angeht, decken sich die privaten Erfahrungen scheinbar mit den Geschehnissen in der hohen Politik.

Der Zeitungsausschnitt über die Amtseinführung des Papstes Franziskus in Rom am 19. März diesen Jahres lässt mich folgende Szene vermuten:

Die fünfköpfige Delegation aus Taiwan ist schon sehr früh auf dem Petersplatz erschienen. Alle Mitglieder schauen herum, um wichtige andere Staatsgäste schnell auszumachen. Angela Merkel erscheint. Die Delegation eilt in ihre Richtung.

Mitglied der Delegation aus Taiwan: Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin Merkel. Wir kennen uns über die deutsch-chinesische Gesellschaft. Chinas Präsident möchte Sie gerne begrüßen.

Bundeskanzlerin: Hallo, guten Tag. Ich freue mich, Sie zu sehen.

Mitglied der Delegation aus Taiwan: Ein gemeinsames Foto von Ihrem Treffen?

Bundeskanzlerin: Ist das günstig hier mit der scharfen Sonne? Wo steht die Kamera?

Mitglied der Delegation aus Taiwan: Weiter hinten! Nur eine Minute. Vielleicht etwas näher an Präsident Ma?

Präsidentengattin Chow Mei-ching hebt die kleine Digitalkamera.

Bundeskanzlerin: Das ist gut. Es ist absolut gut. Präsident Ma?

Mitglied der Delegation aus Taiwan: Ja, Präsident Ma aus Taipei.

Präsident Ma Ying-Jeou: Hallo, Frau Merkel!

Bundeskanzlerin: Ja, ja, ja. Ich wusste nicht. So jetzt ist vorbei. Das Foto ist gemacht. Wir haben kein Gespräch vereinbart. Alles Gute, genießen Sie die Zeit.

Die Bundeskanzlerin wendet sich schnell ab und verschwindet in Richtung des spanischen Kronprinzen.

Dabei weiß Frau Merkel als ziemlich beste Freundin Chinas sicher mehr über Taiwan, als Luo You vermutet. Jedenfalls hat Präsident Ma Ying-Jeou in Rom seine Hausaufgaben erledigt. Eine Szene inspiriert von „Grüezi Deutschland“.

Mittwoch, 3. April 2013

Waiguoren – Doch noch gefragt!

Es klappt doch noch. Nach den letzten Reisen war mein Selbstwertgefühl in Taiwan stark gesunken. Ich wurde schon lange nicht mehr gefragt, ob ich mit auf das Foto irgendwelcher mir zuvor völlig unbekannter Taiwaner wollte. Und eigentlich wurde ich nie gefragt, nie direkt gefragt. Meine Frau wurde fast immer angesprochen, ob der „Waiguoren“, der Ausländer an ihrer Seite für eine gemeinsame Aufnahme zur Verfügung steht. Da kam immer das Gefühl auf, nicht der Ehemann sondern eine Art behaartes Haustier zum Tätscheln, Streicheln und Fotografieren zu sein, das gerade einmal zum Lastesel für Koffer, Rucksack (Siehe Bild unten!) und Laptop oder zum Wegbringen des Abfalls taugt.

Lesen kann er nicht, die Sprache spricht er nicht, wird unterstellt. Wer ihn auf Englisch anspricht – was in Taiwan vom Kindergarten an gelehrt wird - riskiert den Gesichtsverlust, da die Verständigung in der fremden Sprache möglicherweise doch nicht so perfekt klappt. Also besser den sicheren Weg wählen und seine Begleiterin, sein Frauchen, ansprechen.

Am 15. März 2013 war nicht der Bahnhof von Kaohsiung sondern das "Pier 2 Arts Center" (高雄駁二藝術特區) die richtige Gegend für einen Sonntagsausflug mit anschließendem Cappuccino und Käsekuchen. Viele der alten Lagerhallen wurden geöffnet, für Ausstellungen, museale Zwecke sowie Konzerte umgenutzt und teilweise künstlerisch gestaltet.

Keine Groupies von Luo You sondern der elektronischen Hip-Hop-Band Magic Power (魔幻力量) nutzten die lange Zeit des Wartens bis zum Konzertbeginn für gemeinsame Erinnerungsfotos. Posen und Fotos ja, Tanzen und Video nein! Ich hab es schließlich in den Knien. Und keine Veröffentlichung der Bildern im Internet waren meine Forderungen ;-) Außerdem wollte ich auch Fotos für meine Urlaubsbilder auf der eigenen Speicherkarte haben.

Die nächste Begegnung mit der fotografierenden Art folgte im - mal wieder - italienischen Restaurant, wo eine meiner Nichten als Teilzeitbedienung arbeitet. Ein Oberstufenschüler entdeckte mich nach dem Essen neben der Kasse stehend und riss die Augen auf. Er erklärte meiner Frau in der Landessprache, dass er die Hausaufgabe habe mit einem „Waiguoren“ Englisch zu reden und ein Foto zu machen. Da sein Englisch nur schlecht ist, wäre es aber okay nur ein Foto zu machen.

Das wäre wohl Betrug, sagte ihm meine Frau. Damit erfüllt er seine Hausaufgabe nicht.

Nach der Übersetzung seines Anliegens durch meine Gattin, schlug ich auch vor, nur ein gemeinsames Foto zu machen und auf die Konversation angesichts meiner einsetzenden Müdigkeit zu verzichten. Das war dann ganz im Sinne des Schülers, der seine Freundin den Auslöser am Smartphone drücken ließ. Als er dann zur Umarmung aus großer Dankbarkeit mächtig ausholte, wich ich zurück. Es genügt doch waiguorenisch die Hand zur Verabschiedung zu reichen. Seine überschwängliche Reaktion führte insgesamt zu großer Erheiterung in meiner Abendgesellschaft. So bleibt es lustig auf der "Ilha Louca".

Dienstag, 2. April 2013

Wo der Tiger an Land ging

Taiwan und die Taiwaner zeichnen sich durch eine besondere Affinität zu der Großkatze aus. So war das Symbol der 1895 für einige Monate existenten Republik Formosa, die von der gewaltsamen japanische Übernahme der Insel als Kolonie ausgelöscht wurde, ein von Flammen und Wölkchen umgebener Tiger, der auch diesem Blog vorangestellt ist.

Bei der Internationalen Orchideenschau 2013 in Tainan, die im März des Jahres stattfand, schaut ein wildes Kätzchen aus der üppigen Blumenpracht.

Begeistert war das Publikum von den Züchtungen und Zusammenstellungen in den verschiedenen Hallen.

Leider hatte der Efeu im Ausstellungsarrangement der deutschen Orchideengesellschaft (DOG) dem subtropischen Klima nicht standgehalten und war schon etwas vetrocknet. Dabei wurde auch deutlich, wo die Pflanzen besonderer großer Zuneigung und Pflege bedürfen, aber trotzdem nicht wirklich ihre Schönheit entfalten oder welche Regionen durch ein ausgezeichnetes Orchideenklima begünstigt sind. Da haben Schwiegermama, Ehefrau und meine Wenigkeit uns gerne vor den Orchideen aus Indonesien und sogar aus Südafrika fotografiert.

Ökonomen zählen Taiwan, respektive die Republik China, auch zu den Tigerstaaten, was sich mehr auf die Dynamik der Volkswirtschaft als auf den Lebensraum der Großkatze bezieht. Historisch zählte Taiwan nie zum seinem natürlichen Habitat.

Dabei ließ Taiwan Vorzeigeregisseur Ang Lee erst kürzlich in "Life Of Pi" den Tiger an den Stränden von Kenting anlanden. Im Film wird der Ort zwar als Küste von Mexiko benannt, der Drehort lag aber an der Baisha Bay, die Bucht des weißen Sandes in Südtaiwan. Viel Kunstfertigkeit, Filmtechnik und einige "Dreck Weg"-Tage waren sicher nötig, damit die reale Szenerie zum filmgerechten Strand wurde.

Als ordentlich Taiwanpatrioten waren wir natürlich an allen angenommenen Drehorten des Films um Kenting. Auch Chialoshui an der Westseite des Nationalparks von Kenting zählte dazu.

Obwohl viele Filmszenen auf Taiwan hergestellt wurden, wird kein örtlicher Bezug zur Insel genommen. Dieser erschließt sich nur durch Hintergrundinformationen. Damit wird der Film wohl kaum so für die Tourismuswerbung von Kenting eingesetzt werden können, wie Taiwans Kassenschlager „Cape No. 7“ aus dem Jahr 2008.

Statt eines wilden Tigers tobten in Chialoshui nur Affen in den bewaldeten Hängen über dem Pazifik. Das ist die schöne Seite Taiwans, die nur außerhalb der wuchernden Industriegebiete und des zusammengepressten Siedlungsbreis, welcher das Land zum ökonomischen Tigerstaat gemacht haben, zu finden ist.