Dienstag, 26. Februar 2013

Perspektiven

Der Blick aus dem Fenster sagt alles. Am vergangenen Wochenende überzog wieder der farblose Schnee die Landschaft. Heute sind die Wege noch vereist oder zu einem puddingartigen Matsch aufgeweicht. Obwohl bereits ersten Frühjahrsboten in Form von Tulpen sprießen, sah es einige Tage noch so aus, als hätten sie erst einmal das Wachstum eingestellt. Sie wirkten wie kleine Kreaturen, eine Art Erdmännchen, bibbernd in der gefrorenen Erde und einem Mantel gleich umhüllt von ihren Blättern.



Deutschland nervt. Alles will gegenwärtig Stress machen: die berufliche Arbeit mit verschiedenen absehbaren Personalwechseln im näheren Umfeld, die seit dem Hausbau andauernden Grabenkämpfe vor Gericht und über Rechtsanwälte mit glücklicherweise nur wenigen, aber besonders schrecklichen Handwerkern. Da gilt Verbraucherschutz nichts und die Bauprofi nutzen alle miesen Tricks und ihre Erfahrung, um den eigenen Profit zu mehren und sich die Bälle im Gewerbe gegenseitig zuzuspielen. Die Einmal-Bauherrenschaft wird wie eine Zitrone bis zum letzten Tropfen ausgepresst. Dieses Generve scheint im Vorfrühjahr alle Lebensbereiche zu umfassen. Nichts läuft wirklich gut. Also ist es der richtige Zeitpunkt, die vom Winter geschlauchten Deutschen zu verlassen. Das E-Ticket von Frankfurt nach Kaohsiung ist gebucht und es wird Zeit sich Gedanken über den - im deutschen Sinne sommerlich ausgerichteten - Kofferinhalt zu machen.

Im Frühjahr 2005 ging die Reise unter anderem nach Penghu. Von Blüten umrahmte Sandstrände an einer karibisch wirkenden Taiwanstraße unter subtropischer Sonne. Da wird doch gleich die Zirbeldrüse aktiviert. Auf dem Hügel im Hintergrund lädt ein kleiner Tempel zur Strandwanderung ein. „Such dir etwas Schönes aus, was du auf Taiwan sehen willst“, sagt mir die Ehefrau, die sich bereits auf dem Eiland befindet, am Telefon. Aus familiären Gründen werden wir in Kaohsiung oder in der Nähe, das heißt im Süden, bleiben. Also ist jetzt Zeit für den ewigen Taiwantouristen, um im Internet zu surfen, was es noch Interessantes oder Neues gibt und was uns anspricht.

Samstag, 16. Februar 2013

Das Dutzend ist voll - Teil 3 und Ende

12 Jahre Reisen in Taiwan - 12 Years Of Travel in Taiwan

Für viele Menschen ist Taipei Eingangstor zu Taiwan. Für mich war es der Endpunkt meines Urlaub 2001 auf der Insel. Das war gut so. Ging es zunächst vom sonnigen Kaohsiung quer durch den Süden, dann durch das überwiegend ländliche „Eastern Rift Valley“ nach Norden, so konnte ich die stressigere Hauptstadt entspannt und offen für ihre vielen Attraktionen erreichen.

Moloch Taipei - Hier der Blick aus einem der Zimmer in der Jugendherberge von Taipei. Wie eine alles verschlingende Macht hat die Großstadt den Kessel eingenommen, der zwischen den Ausläufern des Xueshan-Gebirges oder der Schneeberge im Süden und Osten, dem Yangminshan-Bergen im Norden und dem Tafelland von Linkou im Westen befindet. Und die vom Menschen gebaute Häßlichkeit dehnt sich weiter nach Südwesten in den Kreis Taoyuan, nach Südosten durch den Xueshan-Tunnel ins Ilan-Delta aus.

Sämtliche meiner Aufenthalte auch in späteren Jahren in Taipei waren interessant und haben den Blick auf neue Dinge ermöglicht, aber sie waren auch stets belastend und stressig. Das betraf nicht nur das eigene Wohlbefinden, sondern auch die mitmenschliche Harmonie. Also, das heißt, wenn es Krach und Unstimmigkeiten gab, dann meistens in Taipei.

TaiChi zur Erhaltung der Gesundheit in einem stressigen Umfeld - Eine Gruppe mit ihrem Lehrer praktiziert früh morgens an der Konzerthalle von Taipei.

Besuch im Long Shan Tempel - Auch Religion kann helfen, die Ferne der Großstadt von der eigenen Natur zu bewältigen. An dem stark besuchten Sakralort begegnete mir die chinesische Göttertriade Fu. Lu und Shou, die ich sofort mit den heiligen drei Königen aus dem Morgenland des christlichen Glaubens assoziierte. Deren Segen durfte und konnte ich direkt unter ihnen erbitten. Die Toleranz der asiatischen Religionen ist im Vergleich zum Islam und Christentum grandios.

Natürlich gehörte zum Programm des erfahrungsfreien Touristen Asiens auch der Besuch einer chinesischen Oper im „National Taiwan Junior College of Performing Arts“. Die Schule ermöglichte die zeitlich angemessenene und für den Ausländer gewiss entschärfte Darstellung dieser traditionellen Darbietung. Eine modellhafte Nachbildung der Theatermasken, die ich dort erworben habe, zählt heute noch zum Inhalt meiner Kuriositätenkiste.

Kuriositätenkisten vom Feinsten oder in Englisch geschrieben „curio boxes“ gab es dann im Neuen Palast Museum. Die riesige Sammlung der besten chinesischen Kunst aus Jahrtausenden ist ein unermesslicher Schatz. Glücklicherweise ist es gelungen, diesen auch in den Kriegszeiten zu sichern und dem kommunistischen System mit seinen Ausfällen, wie der Kulturrevolution, vorzuenthalten.

Während die Weihnachts- und Neujahrszeit quasi mit dem Drei-Königstag abschließt, stellt in Taiwan das Laternenfest den Schluss der Neujahrszeit dar. Für das nationale Fest in Taiwan 2001 war der Platz um die die Chiang-Kai-Shek-Gedächtnishalle geschmückt.

Am 14. Februar 2001 startete mein Rückflug über Amsterdam nach Deutschland. Als wir in den ersten Tagen meines Aufenthaltes einen Nachtmarkt in Kaohsiung besuchten, traf ich überraschend beim Auslöffeln Nachspeise aus süßen Bohnen auf einen jungen deutschen Ingenieur. Er war dort mit seiner taiwanischen Ehefrau. Mich wunderte damals, dass sie in Englisch miteinander redeten. „Ja“, sagt ich zu meiner Begleiterin, „Wie kann das sein? Da leben sie so lange zusammen, haben geheiratet und kommunizieren weder in Chinesisch noch in Deutsch, sondern immer noch in Englisch als einer dritten Sprache.“ Mit der Begleiterin von damals bin ich heute verheiratet und unsere gemeinsame Sprache, in der wir fast alles bereden, ist Englisch. Ich konnte es nicht vorhersehen.

Freitag, 15. Februar 2013

Das Dutzend ist voll - Teil 2

12 Jahre Reisen in Taiwan - 12 Years Of Travel in Taiwan

Nachdem der rheinische Karneval und die chinesischen Neujahrstage zu Ende gegangen sind, ist wieder Gelegenheit in der Vergangenheit zu schwelgen. Genau wie 2013 fiel auch 2001 in das Jahr der Schlange entsprechend dem zwölfjährigen chinesischen Tierkreis. Auf den Tag genau ist es 12 Jahre her, dass ich meinen Fuß wieder auf deutschen Boden setzte. Der Rückflug startete damals von Taipei.

Beregneter Rollrasen mit Reispflänzchen, die darauf warten mechanisch auf den Feldern des östlichen Grabentals von Taiwan zum Jahresanfang 2001 gesetzt zu werden.

Stand im Mittelpunkt des ersten Teils der Reiseschilderung der Weg in Südtaiwan vom Westen in den Osten der Insel, so geht es in diesmal um die Fahrt durch Osttaiwan nach Taipei. Zwischen Chihshan und der Hauptstadt im Norden lagen im zweiten Abschnitt meiner Jungfernreise durch Taiwan als wesentliche Stationen: Loshan-Wasserfall - Yuli - Am Xiuguluan Fluss bei Rueisuei – Hualien – Lin Tien Shan - Tianhsiang im Taroko Nationalpark – Seeklippen - Luodong und Ilan – Taipei.

Blick vom Lo-Shan-Wasserfall zurück ins Grabental, dem „East Rift Valley“ (花東縱谷). Zur Begeisterung meiner Begleiterinnen lernte ich bei der Anfahrt zu dem Ort das schwierige chinesische Wort pùbù (瀑布) in perfekter Aussprache. So sind sie halt zu den Auswärtigen, immer höflich und meistens voll des Lobes. Da gibt es für die Deutschsprachigen sicherlich ganz andere schwer zu überwindende Hürden im Chinesischen als diese einfache Silbenkombination mit Vokalen und Konsonanten, die uns nicht besonders fremd sind, sowie zwei fallenden Tönen.

Karaoke in Yuli - Für Taiwaner sind regelmäßige warme (!) Mahlzeiten extrem wichtig. Beim folgenden Gegenbesuch habe ich versäumt bei der Reiseplanung darauf zu achten. Dies war ein ganz übler Fehler. In Taiwan jedenfalls führte uns der Mittagsstop an diesem Tag nach Yuli, einem verschlafenen Nest etwa in der Mitte zwischen Taidong und Hualien. In dem zur späteren Mittagszeit wenig besuchten Restaurant kam schnell die Aufforderung zum Karaoke. Dabei empfand ich mehr als die Lieder von Elvis Presley im Duett mit einer anderen, mir bis dahin unbekannten Restaurantbesucherin durchaus anziehend.

Kurz vor Rueisuei kreuzt die Haupstraße den Xiugulan-Fluss. Hier befindet sich das beliebte „Xiuguluan River Rafting Service Center“, das ich allerdings immer nur wie ausgestorben erlebt habe. Der Xiugulan-Fluss durchbricht hier das Küstengebirge und bietet auf diesem Abschnitt die Möglichkeit zu Wildwasserfahrten.

Reiseziel zum Ende dieses Tages war die Übernachtungsmöglichkeit in Hualien. Über Beziehungen konnten wir im Gästehaus eines staatlichen Instituts übernachten. Leider stand offenbar das durchaus ansehnliche Gebäude kurz vor notwendigen Desinsektifizierung, so dass ich mein Zimmer mit der vermutlich größten Spinne meines Lebens teilen musste. Der Zimmergenosse hatte vermutlich bereits alle Kakerlaken verspeist, aber leider noch nicht alle Mücken, die sich dort eingeschlichen hatten. Die ließen mich nicht schlafen, so dass ich eine Fotosession mit der Spinne startete.

Der Taiwan-Reiseführer von Werner Lips, der mir in der fremden Kultur bei vielen Themen weiter half, auch wenn er auch die in Taiwan nicht benutzten vereinfachte chinesische Schriftzeichen angab und sonst in der frühen Auflage einige Fehler hatte, beruhigte mich wenig. Da gab es so Weisheiten wie: Je größer die Spalte unter der Tür, desto größere die Tiere, die hereinkommen. Und die der Türspalt war riesig in diesem Raum. Oder, dass Spinnen gerne bei ihren nächtlichen Jagden über die Gäste laufen. Dies sei aber nicht so schlimm, da sie meistens ungiftig wären. Bei den Wort „meistens“ stutzte ich. Auf jeden Fall blieben wir dort nur für eine Übernachtung, da auch andere Zimmer durch Ameisen und anderes Getier belebter waren.

Am nächsten Morgen ging es zunächst einige Kilometer zurück nach Lin Tien Shan (林田山). Es handelt sich hier um eine alte Holzfällersiedlung aus der japanischen Kolonialzeit Taiwans. Neben alter Holzgebäude in japanischer Architektursprache waren auch die Reste einer Waldeisenbahn zu sehen, die der Ausbeutung der Bergwälder diente. Die anwesenden Forstwächter informierten gerne und umfassend in einer kleinen Ausstellung über die Geschichte der Siedlung und die Holzarten, die dort genutzt wurden. Alles wirkte sehr ursprünglich. Die verfallenden Anlagen gaben dem Ort ein hohes Maß an Authentizität. Leider brannte Lin Tien Shan einige Monate später ab. Mittlerweile ist es wieder aufgebaut, aber viel „perfekter“ und etwas touristischer geworden.

Die „National Dong Hwa University“ nutzten wir zum Mittagessen. Sie war eine Gründung im nicht so stark entwickelten Osten Taiwans, die mich stark an die Kette der neuen Universitäten im Ruhrgebiet aus den 1960er Jahren erinnerte. Auch hier ging es darum, den regionalen Strukturwandel zu fördern. Vielleicht kam mir dieser Gedanke auch deshalb, weil das Mensaessen in Taiwan den gleichen typischen Beigeschmack hatte wie in Deutschland.

Ansonsten genossen wir die Vielzahl an guten Restaurants in Hualien. Im Gedächtnis haften geblieben sind auch die dampfenden Frühstückslokale mit ihren gefüllten Baotze, eine Art luftiger Germknödel, und anderen Köstlichkeiten. Hualien war auch der Ausgangspunkt für die Fahrt durch die eindrucksvolle Taroko Schlucht.

Blick von der Pagode oberhalb von Tienhsiang auf den Ort - Wir übernachteten am Ende der Schlucht in Tienhsiang, wo uns die Jugendherberge einen angenehmen Aufenthalt ermöglichte.

Es ging weiter dann nach Norden entlang der Seeklippen bis zur Ebene des Ilan-Deltas.

Touristisches Ziel im Gebiet von Ilan und Luodong waren neben einigen außergewöhnlichen Restaurants der damals neu errichtete Luódōng Sports Park

Da es 2001 noch keinen Autobahntunnel gab, führte der Weg nach Taipei über die Fernstraße Nr. 9 durch die Berge. Beim Blick zurück reflektierten die Reisfelder in der Ilan-Ebene das Sonnenlicht, ein Platz, wo auch der letzte Maure Granadas hätte seufzen können. Es ist wirklich zu bedauern, dass mit dem Tunnelbau und der damit besseren Erreichbarkeit von der Hauptstadt Taipei eine noch stärkere Zersiedlung eingesetzt hat und die traditionelle Landnutzung zurückgeht. Aber wenn es schon im kulturgeladenen Spanien so gruselig aussieht, warum soll es im jungen Taiwan besser sein.