Modell und Wirklichkeit
Nachdem sich die letzten drei Beiträge ernsten und traurigen Fragen widmeten, ist jetzt noch etwas Zeit, zu bevorzugten Themen über Schienenverkehr und Modellbahn zurückzukehren. Den Impuls gab auch die kürzliche Wiederholung der TV-Sendung "Mit dem Zug durch ... Taiwan" im deutschen Fernsehen.
Der Bahnhof von Jiji (集集) ist ein Touristenziel erster Klasse in Taiwan. Um das historische Bahnhofsgebäude herrscht eine Geschäftigkeit, die einem Jahrmarkt ähnelt. Beim Streifzug durch den Südwesten der Insel im vergangenen März war ich zum dritten Mal in dem turbulenten Städtchen, wobei sich die ansässigen Unterhaltungsbetriebe, Läden, Restaurants und das Warenangebot ständig wandeln.
So sieht das „Geisterhaus“ gegenüber dem Bahnhof jedes Mal schrecklicher aus.
Neue „Highlights“ waren im März die laut knatternde Go-Cart-Bahn mitten in einem reinen Wohngebiet und - etwas netter und wiederbelebt - ein Dampfzug entlang der Hauptstraße auf schmaler Spur.
In der Verkaufshalle für Souvenirs am Bahnhof fand ich kleine Miniaturbahnhöfe bekannter taiwanischer Stationen, also nicht nur Jiji sondern zum Beispiel auch Chishan, Wushulin, Hsinchu, Kaohsiung, Tainan. Das Modell des historischen Bahnhofsgebäudes von Jhutian gefiel mir besonders gut und erinnerte mich an meinen Besuch dort im April 2007.
Japanisch geprägte Bahnhofarchitektur im Modell. Aber wie genau ist die Nachbildung?
Bei Betrachtung des Originalgebäudes fallen doch sehr unterschiedliche Proportionen und die fehlende Filigranität des Modells sofort auf. Es ist einfach zu klobig und gestaucht. Lediglich Dachformen, Farbgebung und die grundsätzliche Komposition des Gebäudes sind stimmig. Aber was ist schon bei einem Preis von rund 2 Euro zu erwarten.
Der Bahnhof von Jhutian im Landkreis Pingtung wurde 1919 errichtet. Von hier aus wurden die landwirtschaftlichen Güter des Ortes versandt. Hotels und ein Badehaus waren in der Nähe. Mit dem Strukturwandel im Verkehr, mit mehr Lastkraftwagen und individueller Mobilität verlor der Bahnhof an Bedeutung.
Die Bürgerschaft kämpfte für den Erhalt des hölzernen Bahnhofs, der so viel Bedeutung für die Lokalgeschichte und die Menschen vor Ort hatte. Heute sind sogar noch feine Details, wie etwa Bahnsteigsperre, das historische Bahnhofsschild oder eine alte Waage. Die Gebäude und benachbarten Flächen wurden zur Parkanlage und zum Kulturzentrum für den Ort aufgewertet. Hier befindet sich auch die umfangreiche Bibliothek von Dr. Ichiro Ikegami, einem japanischen Militärarzt, der in Taiwan wirkte und armen Menschen auf der Insel half. Seine wertvolle und umfangreiche Sammlung japanischer Bücher, ist der Öffentlichkeit in Jhutian heute zugänglich.
Vom Bahnbetrieb ist wenig übrig. Er beschränkt sich heute auf ein Gleis und den Stopp von Lokalzügen im Streckenabschnitt zwischen Kaohsiung und Fangliao.
Der Betonkubus am Ende des Bahnsteigs im Hintergrund ist jetzt der „Servicepoint“ mit Unterstand für die Passagiere, Fahrkartenverkauf und Automaten. Viel Eisenbahnromantik gibt es da nicht mehr, wenn der Zugchef für die reibungslose Abwicklung des Zughalts sorgt.
Für die Menschen hängen viele Erinnerungen an ihrem kleinen Bahnhof. Das Foto findet sich an einer Fassade gegenüber dem Stationsgebäude. Es zeigt die Rückkehr einer verheirateten Tochter mit ihrem Kind zu ihrer alten Familie am 2. Tag des chinesischen Neujahrsfestes. Die Frau trägt die Festtagstracht der Hakka, einer Volksgruppe, die in Jhutian lebt. So danken die Menschen der Eisenbahn, die sie immer wieder zusammengeführt hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für deinen Beitrag! Um Spam und andere böse Sachen auszuschließen, wird der Kommentar von Luo You vor der Freigabe gelesen. / Thanks for your contribution! To avoid spam your comment will be published after Luo You´s check.