These 1, wie Taiwan die Demokratie abschafft
Wer sich zum Jahreswechsel 2013 / 2014 über Taiwans Autobahnen bewegte, konnte Zeuge historischer Momente werden. Obwohl die nationalen Autobahnen „Freeway“ genannt werden, sind sie keineswegs frei.
Hinweisschild für eine Mautstation in Taiwan – Hier war bis zum 30. Dezember zahlen oder Ticket angesagt.
Bis zum vergangenen Monat gab es in regelmäßigen Abständen Mautstationen, um Tickets im Wert von etwa einem Euro für die Benutzung an die Kraftfahrer zu veräußern oder diese vom Zehnerblock aus dem Vorverkauf einzunehmen. 2006 wurde zusätzlich ETC als elektronisches Zahlsystem an den Mautstationen eingeführt.
Als bewundernswert empfand ich immer die asiatische Geschicklichkeit und Geschwindigkeit bei der Ticketübergabe tausender von Autofahrer an die „Mautmäuschen“, in der Regel dort beschäftigter junger Damen mit Mundschutz, in den Mauthäuschen.
Am 30. Dezember 2013 wurden die sämtliche Mautstationen geschlossen. In einer Übergangszeit von drei Tagen waren Taiwans Freeway wirklich frei und kostenlos zu befahren. Danach startete offiziell das neu installierte System eTag der Far Eastern Electronic Toll Collection Co. Ltd. (FETC), einem Unternehmen, das zu einem der größten taiwanischen Konzerne gehört.
Als Argumente für die Einführung des neuen Systems werden die Zeitersparnis ohne Geschwindigkeitsminderung an den Mautstationen auf der Fahrt durch Taiwan, die damit verbundene Reduzierung des Benzinverbrauch und enorme Kostensenkung bei Mauterhebung genannt. Die Abrechnung erfolgt nach gefahrener Strecke und Größe des Fahrzeugs. FETC bietet die Installation des Systems im Fahrzeug an. Aber selbst ohne Anmeldung wird der Wagen beziehungsweise das Fahrzeugkennzeichen an den neuen Kontrollbrücken erfasst und die zu zahlende Summe errechnet. Das Etag-Konto kann über IBON-Zahlautomaten in den Nachbarschaftsläden von 7-Eleven oder über andere Wege, etwa die Kreditkarte, ausgeglichen werden.
Historische Momente – Nach der Schließung der Mautstationen wurde umgehend mit dem Abriß begonnen. Die Presse berichtete über trauernde frühere Mitarbeiter, über viele Jahre entstandene soziale Beziehungen zwischen den Angestellten und den Autofahrern. Stationsleiter riefen dazu auf keine Geschenke abzugeben. Man wisse an den Stationen nicht, wohin damit. Ein schlimmer Verlust für kommende Generationen, welche die althergebrachten Mautstationen nicht kennenlernen werden, wurde heraufbeschworen.
Hunderte, vornehmlich Frauenarbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten sind damit entfallen. Meines Erachtens wird dieses Problem in den Medien nur gestreift. Die fast lückenlose Überwachung der individuellen Mobilität auf der Autobahn durch ein privates Unternehmen und den Staat wurde überhaupt nicht thematisiert. Die Risiken einer Politik des „Big Brother Is Watching You“ werden ignoriert, wie auch die Vielzahl von Überwachungskameras an jeder Straßenkreuzung zeigt. Vielmehr preist sich Taiwan als erste Nation ein derart umfassendes System auf allen Autobahnen eingeführt zu haben. „Ich habe nichts zu verbergen“, sagt die taiwanische Ehefrau. Gilt das auch für die Mächtigen oder bei einer Machtübernahme durch ein totalitaristisches System in Taiwan?
Statt Verdienstmöglichkeiten für viele Menschen gibt es jetzt eine optimale Einnahmesituation für einen Konzern, an den der Staat sich vertraglich gebunden hat. An Erlösen aus der Nutzung öffentliches Eigentum lässt der Staat ein einziges privates Unternehmen teilhaben, auch wenn dieses nur als Dienstleister für die Mauterhebung auftritt.
Hier wird an mehr als der Bausubstanz geknabbert. Wenn viele Menschen so daran hängen, wäre es gut gewesen, eine Station aus Gründen der Denkmalpflege zu erhalten. Die Stationen waren zwar taiwantypisch, aber nicht wirklich herausragend. Eigentlich bringt ihr Abbruch nur Vorteile. Kritisch wird das, was stattdessen kommt und wie mit den Menschen – Beschäftigte und Bevölkerung – umgegangen wird.
Ich bezweifel, ob eine Erhebung der technischen, sozialen und ökologischen Kosten des Verkehrs allein über den Treibstoffpreis und die Besteuerung der Fahrzeuge wirklich eine schlechtere, unzureichende Alternative darstellt. Ein staatliches System einer derartigen Datenerfassung über seine Einwohner und ihr Verhalten bringt für diese Zwecke keinen wirklichen Mehrwert. Zudem liegen in Taiwan die Benutzungsgebühren für die Autobahnen immer noch sehr niedrig. Auch stellen die Autobahnen kein „Premium Produkt“ des Verkehrs dar, für das ein höheres Preis zu verlangen wäre. Ihre Nutzung ist zur Entlastung der oftmals dicht bebauten Stadt- und Landstraßen verkehrsplanerisch wünschenswert.
Auch Bayerns Ministerpräsident Seehofer und die CSU zeigen, dass vielmehr politisch-ökonomische und weniger gesellschaftliche Ziele entscheidend für die Einführung solcher Systeme sind. Wäre die CSU so vehement für die Autobahnmaut, wenn es nicht einen Münchner Technologiekonzern gäbe, der hier innerhalb der nächsten zwei Jahre prima ins Geschäft kommen könnte? Es ist ziemlich klar, dass es kaum darum geht, einige Besitzer ausländischer Wagen und ein paar Holländer extra zur Kasse zu bitten. Das dürften nur bayerische Stammtische glauben. Als Endziel – über das Zwischenstadium Vignette zur Heranführung der Bevölkerung an die allgemeine Maut – ist ein System taiwanischer Prägung mit einer kompletten Mobilitätserfassung der Einzelnen und einem Zuschieben profitabler Aufträge an Industrie und Wirtschaft erkennbar.
In Taiwan gab es schon immer eine Autobahnmaut. Insofern war der Sprung von der Zahlung des Obulus an der Mautbox zur elektronischen Erfassung ein kleiner. Da hat Deutschland noch einen weiteren Weg von der freizügigen Straßennutzung zur Einzelerfassung aller Bewegungen der Fahrzeuge auf den Autobahnen. Aber wird das dann nicht unerheblich, weil bereits Handy-Daten und Internetverbindungen abgefangen, vorgehalten und gespeichert werden?
Nicht alles was geht, sollte auch gemacht werden. Es bedarf gewiß einer neuen Staatsmoral, was zum Schutz der Bürger und Finanzierung des Gemeinwesens erforderlich ist und wo dem Datenwahn und der Profitgier Grenzen zu setzen sind. Schade ist, dass die Piratenpartei dies nicht rüber bringen konnte.
Feierabend für den Abfangjäger mit Münchner Herkunft der Autobahnpolizei. Wenn durch automatische Kameras und elektronische Systeme jeder Wagen, jedes Kennzeichen, jeder Halter erfasst und der zur Kasse gebeten wird, braucht es keine Highway-Jagd auf Mautsünder mehr geben. Statt des langweiligen Stand-By der Polizeifahrzeuge an Mautstationen können jetzt mehr und wirtschaftlicher einnahmeverbessernde Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt werden.
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