Modell und Wirklichkeit
Nachdem sich die letzten drei Beiträge ernsten und traurigen Fragen widmeten, ist jetzt noch etwas Zeit, zu bevorzugten Themen über Schienenverkehr und Modellbahn zurückzukehren. Den Impuls gab auch die kürzliche Wiederholung der TV-Sendung "Mit dem Zug durch ... Taiwan" im deutschen Fernsehen.
Der Bahnhof von Jiji (集集) ist ein Touristenziel erster Klasse in Taiwan. Um das historische Bahnhofsgebäude herrscht eine Geschäftigkeit, die einem Jahrmarkt ähnelt. Beim Streifzug durch den Südwesten der Insel im vergangenen März war ich zum dritten Mal in dem turbulenten Städtchen, wobei sich die ansässigen Unterhaltungsbetriebe, Läden, Restaurants und das Warenangebot ständig wandeln.
So sieht das „Geisterhaus“ gegenüber dem Bahnhof jedes Mal schrecklicher aus.
Neue „Highlights“ waren im März die laut knatternde Go-Cart-Bahn mitten in einem reinen Wohngebiet und - etwas netter und wiederbelebt - ein Dampfzug entlang der Hauptstraße auf schmaler Spur.
In der Verkaufshalle für Souvenirs am Bahnhof fand ich kleine Miniaturbahnhöfe bekannter taiwanischer Stationen, also nicht nur Jiji sondern zum Beispiel auch Chishan, Wushulin, Hsinchu, Kaohsiung, Tainan. Das Modell des historischen Bahnhofsgebäudes von Jhutian gefiel mir besonders gut und erinnerte mich an meinen Besuch dort im April 2007.
Japanisch geprägte Bahnhofarchitektur im Modell. Aber wie genau ist die Nachbildung?
Bei Betrachtung des Originalgebäudes fallen doch sehr unterschiedliche Proportionen und die fehlende Filigranität des Modells sofort auf. Es ist einfach zu klobig und gestaucht. Lediglich Dachformen, Farbgebung und die grundsätzliche Komposition des Gebäudes sind stimmig. Aber was ist schon bei einem Preis von rund 2 Euro zu erwarten.
Der Bahnhof von Jhutian im Landkreis Pingtung wurde 1919 errichtet. Von hier aus wurden die landwirtschaftlichen Güter des Ortes versandt. Hotels und ein Badehaus waren in der Nähe. Mit dem Strukturwandel im Verkehr, mit mehr Lastkraftwagen und individueller Mobilität verlor der Bahnhof an Bedeutung.
Die Bürgerschaft kämpfte für den Erhalt des hölzernen Bahnhofs, der so viel Bedeutung für die Lokalgeschichte und die Menschen vor Ort hatte. Heute sind sogar noch feine Details, wie etwa Bahnsteigsperre, das historische Bahnhofsschild oder eine alte Waage. Die Gebäude und benachbarten Flächen wurden zur Parkanlage und zum Kulturzentrum für den Ort aufgewertet. Hier befindet sich auch die umfangreiche Bibliothek von Dr. Ichiro Ikegami, einem japanischen Militärarzt, der in Taiwan wirkte und armen Menschen auf der Insel half. Seine wertvolle und umfangreiche Sammlung japanischer Bücher, ist der Öffentlichkeit in Jhutian heute zugänglich.
Vom Bahnbetrieb ist wenig übrig. Er beschränkt sich heute auf ein Gleis und den Stopp von Lokalzügen im Streckenabschnitt zwischen Kaohsiung und Fangliao.
Der Betonkubus am Ende des Bahnsteigs im Hintergrund ist jetzt der „Servicepoint“ mit Unterstand für die Passagiere, Fahrkartenverkauf und Automaten. Viel Eisenbahnromantik gibt es da nicht mehr, wenn der Zugchef für die reibungslose Abwicklung des Zughalts sorgt.
Für die Menschen hängen viele Erinnerungen an ihrem kleinen Bahnhof. Das Foto findet sich an einer Fassade gegenüber dem Stationsgebäude. Es zeigt die Rückkehr einer verheirateten Tochter mit ihrem Kind zu ihrer alten Familie am 2. Tag des chinesischen Neujahrsfestes. Die Frau trägt die Festtagstracht der Hakka, einer Volksgruppe, die in Jhutian lebt. So danken die Menschen der Eisenbahn, die sie immer wieder zusammengeführt hat.
Sonntag, 30. Juni 2013
Abschied, Schmerz und Hoffnung (II)
Der Tag der Bestattung
Um 6.30 Uhr in der Frühe trifft sich die Familie am Tag der Bestattung. Um Unglück zu vermeiden, erhält jeder Teilnehmer an der Trauerfeier zwei kleine Zweige mit Blättern und eine Münze für die Hosentasche.
Das riesige Zelt, das die gesamte Straßenbreite ausfüllt, ist jetzt komplett und opulent ausgeschmückt. Wie ein Tor zu einer Stadt der Trauer ist nun der Eingang zum Zelt hergerichtet. Das Portrait des Verstorbenen befindet sich auf der anderen Seite des Zeltes in einer gewellten, wunderschönen Landschaft aus Pflanzen und Blumen. Davor ist ein Tisch mit Weihrauchbehälter und anderen sakralen Gegenständen. Reihen von stoffüberzogenen Stühlen füllen den Rest des Zeltes aus. An den Seiten stehen die Blumengestecke.
Das die engeren Familienangehörigen wie an den Vortagen Trauerkleidung anzuziehen hatte, war mir klar. Es gab wieder weiße Hosen und Sweatshirts für alle Söhne, Schwiegertöchter, Töchter und Kinder der Söhne, darüber ärmellose Jutejacken, Kapuzen für die Frauen und zusammengenähte Mützen für die Männer. Während Söhne und Schwiegertöchter hellbraune Jute bekam, trugen ihre Kinder und die Töchter des Verstorbenen die gleiche Überbekleidung, aber in einem gelblicheren Gewebe. Diesmal wurden auch die drei Schwiegersöhne ausgestattet. Aus weißen Gewebe gab es ärmellose Jacken, einen Gürtel und Mützen.
Zunächst folgten im Trauerzelt weitere Zeremonien und Riten mit den Priestern des Beerdigungsinstituts. Ein Sprecher, sehr im Stil nordamerikanischer Prediger, leitete den Ablauf und sprach über den Verstorbenen. Die religiösen Handlungen nahmen die anwesenden Priester vor. Während von den näheren Verwandten die Frauen links vom Weihrauchbehälter standen, stellten sich die Männer rechts auf. Die weiteren Trauergästen nahmen auf den Stühlen Platz.
Im zweiten Teil der Trauerfeier sagten alle Gäste in Gruppen oder als Einzelpersonen dem Verstorbenen Dank oder erwiesen ihm die Ehre. Die vortreten wollten, hatten sie sich zuvor in einer Liste registriert. Nicht nur entfernte Verwandte, Freunde oder Nachbarn gehören dazu, sondern auch der Ortsbürgermeister, politische Parteien, Verbänden, Vertreter aus dem Unternehmen, in dem der älteste Sohn beschäftigt ist, und andere.
Zum Ende der Feierlichkeiten im Trauerzelt wurde der Sarg, der sich zuvor hinter der Blumenlandschaft verborgen im letzten Abschnitt des Zelts befand, in den Leichenwagen des Beerdigungsinstitutes, einem schweren amerikanischen Straßenkreuzer, geschoben. Überhaupt wird der Sarg meistens verborgen und man wendet sich möglichst von ihm ab.
Der Trauerzug bildete sich. Die Rolle der drei Schwiegersöhne - einschließlich meiner Person - war es nun, den Trauerzug anzuführen. Dabei ging der älteste Schwiegersohn (大姐夫) an der Spitze und streute Opfergeld auf die Straße. Ihnen folgte eine Musikgruppe und der Leichenwagen. Dahinter waren die nahen Verwandten und die anderen Trauergäste.
Nach einigen hundert Metern wurde am Rand des Dorfes in einen Bus umgestiegen. Dem Leichenwagen folgend ging die Fahrt zum Krematorium.
In ersten Wagen saß neben dem Fahrer auch der älteste Schwiegersohn. Bei geöffneten Fenster streute er weiter Opfergeld auf die Straße, bis das Ziel erreicht war. Im Krematorium ging dann alles ganz schnell. Als wir eintraten, befand sich der Sarg bereits auf dem linken Fördergestell zu einer der drei Feuerkammern. Die Halle war groß und schmucklos. Um die Klappen zu den Feuerkammer war die Wand von der Hitze geschwärzt. Diese Fabrikatmosphäre war schon grenzwertig, um dem Verstorbenen einen angemessenen letzten Abschied zu geben. An der rechten Feuerkammer hatte gerade eine Trauergesellschaft den Körper ihres Lieben den Flammen übergeben. Diese Gruppe erschien übrigens deutlich westlicher gekleidet. Das Krematorium bietet auch die Möglichkeit zur Verbrennung von Opfergaben, was wir bereits am Vortag im heimischer Umgebung erledigt hatten. In Kaohsiung sind Feuerbestattungen kostenfrei, weil damit Flächen gespart werden können und Problemen einer geeigneten Bodenbeschaffenheit für Friedhöfe aus dem Weg gegangen wird. Einige Wochen später erschien in der Lokalpresse ein Bericht über das Bochumer Krematorium, wo die Stadt als Betreiber medizinische Prothesen der Verstorbenen, insbesondere die Edelmetalle daraus, ohne Wissen und Einverständnis der Angehörigen noch für die eigenen Finanzen vergoldet wird. Ob das in Taiwan so ähnlich läuft?
Die drei Priester des Bestattungsinstituts leiteten für uns im Krematorium die Zeremonie vor dem Sarg mit Danksagungen, Verbeugungen mit Räucherstäbchen und Niederknien. In der ersten Reihe standen die Söhne und der erstgeborene Enkelsohn, dann folgten Schwiegertöchter und weitere Kinder der Söhne, die Schwiegertöchter und anderen Trauergäste. Der erstgeborene Sohn trug wieder den Fetisch vom Vortag. Wir dankten und verabschiedeten uns wieder gegenüber dem Verstorbenen und warfen uns vor ihm auf den harten und staubigen Boden des Krematoriums. Beim Aufstehen war der Sarg aus edlem Holz, in Papier gehüllt und mit gefaltenen Papierlotusblüten geschmückt, bereits hinter der geschlossenen Feuerkammertür verschwunden.
Mit dem Bus ging es sofort zurück. An jeder Straßenkreuzung und Brücke wurde der Verstorbene angerufen. Bei der Ankunft war das große Trauerzelt schon fast wieder abgebaut. Alle Trauergäste wuschen sich symbolisch mit Wasser aus Eimern und aßen von einem großen Kuchen. Bei der Verabschiedung gab es für die Gäste Päckchen, gefüllt mit Kuchen und süßen Milchtee, beziehungsweise zur Danksagung auch einen Kartons mit Handtüchern. Der Priester reinigte nun die Straße mit Wasser und Glockenläuten von allem Bösen. Die noch anwesenden Verwandten aßen zur mittlerweile erreichten Mittagszeit gemeinsam Reis und eine süßsaure Gemüsesuppe.
Die Berge im Rücken, das Meer vor sich - Beerdigungsstätten wie nahe Kending mit so einem guten Feng Shui sind ein Ideal, das sich nur frühere Generationen leisten konnten. Heute sind solche Ruheplätze für fast alle Taiwaner unerreichbar. Der moderne Staat fördert massiv Feuerbestattungen.
Die Söhne und der Sohn des Erstgeborenen fuhren am frühren Nachmittag mit einem Wagen des Beerdigungsinstituts zurück zum Krematorium, um die erkaltete Asche und Überreste in die Urne zu füllen und abzuholen. Das Aufnehmen der Knochen ist dabei eine wichtige Handlung.
In der Zeit waren die anderen Verwandten bereits auf dem Weg zum Beinhaus. Beinhäuser sind für viele in Taiwan offenbar eine Kapitalanlage, denn die kleinen unbelegten Ruhestätten können zu einem höheren als den Erwerbspreis später weiter veräußert werden. Der Preis soll sich dabei nach der Lage im Gebäude richten. Die Anlage, zu der wir fuhren, hatte zwei große Turmbauten und dazwischen einen Tempel mit drei großen Statuen im Inneren.
Jeder der gewaltigen Türme hat etwa sieben bis neun Stockwerke. Ähnlich einem Archiv sind im Inneren enge Gänge mit Kassettenschränken, die tausende von Urnen aufnehmen kann. Neben dem Treppenhaus verfügten die Türme auch über eine Aufzugsanlage. Nach einer Zeremonie im Tempel wurde die Urne zu ihrem Platz gebracht. Die Priester segneten den Ort und jeder verabschiedete sich nochmals vom Verstorbenen. Nachdem ich als letzter Trauernder passiert hatte, schloss der Wärter die Kassette.
Zurück im Dorf wurden noch die Gaben für den Verstorbenen aufgeteilt. Dabei waren viele zweckmäßige Dinge, die ihm im Jenseits zu Gute kommen, wie Lebensmittel, Nudeln, Öl oder Getränke. Möglichst am gleichen Tag ging der Weg der Söhne noch für einen Kurzhaarschnitt zum Frisör und der Rasierer wurde auch wieder benutzt. Für die kommenden Monate gab es einen Plan vom Bestattungsinstitut, welche religiösen Ämter und Dienste für den Verstorben erfolgen müssen. Am Hausschrein wird ihm gedacht und so bleibt er zwischen uns, teilt mit uns die Träume und Gedanken.
Um 6.30 Uhr in der Frühe trifft sich die Familie am Tag der Bestattung. Um Unglück zu vermeiden, erhält jeder Teilnehmer an der Trauerfeier zwei kleine Zweige mit Blättern und eine Münze für die Hosentasche.
Das riesige Zelt, das die gesamte Straßenbreite ausfüllt, ist jetzt komplett und opulent ausgeschmückt. Wie ein Tor zu einer Stadt der Trauer ist nun der Eingang zum Zelt hergerichtet. Das Portrait des Verstorbenen befindet sich auf der anderen Seite des Zeltes in einer gewellten, wunderschönen Landschaft aus Pflanzen und Blumen. Davor ist ein Tisch mit Weihrauchbehälter und anderen sakralen Gegenständen. Reihen von stoffüberzogenen Stühlen füllen den Rest des Zeltes aus. An den Seiten stehen die Blumengestecke.
Das die engeren Familienangehörigen wie an den Vortagen Trauerkleidung anzuziehen hatte, war mir klar. Es gab wieder weiße Hosen und Sweatshirts für alle Söhne, Schwiegertöchter, Töchter und Kinder der Söhne, darüber ärmellose Jutejacken, Kapuzen für die Frauen und zusammengenähte Mützen für die Männer. Während Söhne und Schwiegertöchter hellbraune Jute bekam, trugen ihre Kinder und die Töchter des Verstorbenen die gleiche Überbekleidung, aber in einem gelblicheren Gewebe. Diesmal wurden auch die drei Schwiegersöhne ausgestattet. Aus weißen Gewebe gab es ärmellose Jacken, einen Gürtel und Mützen.
Zunächst folgten im Trauerzelt weitere Zeremonien und Riten mit den Priestern des Beerdigungsinstituts. Ein Sprecher, sehr im Stil nordamerikanischer Prediger, leitete den Ablauf und sprach über den Verstorbenen. Die religiösen Handlungen nahmen die anwesenden Priester vor. Während von den näheren Verwandten die Frauen links vom Weihrauchbehälter standen, stellten sich die Männer rechts auf. Die weiteren Trauergästen nahmen auf den Stühlen Platz.
Im zweiten Teil der Trauerfeier sagten alle Gäste in Gruppen oder als Einzelpersonen dem Verstorbenen Dank oder erwiesen ihm die Ehre. Die vortreten wollten, hatten sie sich zuvor in einer Liste registriert. Nicht nur entfernte Verwandte, Freunde oder Nachbarn gehören dazu, sondern auch der Ortsbürgermeister, politische Parteien, Verbänden, Vertreter aus dem Unternehmen, in dem der älteste Sohn beschäftigt ist, und andere.
Zum Ende der Feierlichkeiten im Trauerzelt wurde der Sarg, der sich zuvor hinter der Blumenlandschaft verborgen im letzten Abschnitt des Zelts befand, in den Leichenwagen des Beerdigungsinstitutes, einem schweren amerikanischen Straßenkreuzer, geschoben. Überhaupt wird der Sarg meistens verborgen und man wendet sich möglichst von ihm ab.
Der Trauerzug bildete sich. Die Rolle der drei Schwiegersöhne - einschließlich meiner Person - war es nun, den Trauerzug anzuführen. Dabei ging der älteste Schwiegersohn (大姐夫) an der Spitze und streute Opfergeld auf die Straße. Ihnen folgte eine Musikgruppe und der Leichenwagen. Dahinter waren die nahen Verwandten und die anderen Trauergäste.
Nach einigen hundert Metern wurde am Rand des Dorfes in einen Bus umgestiegen. Dem Leichenwagen folgend ging die Fahrt zum Krematorium.
In ersten Wagen saß neben dem Fahrer auch der älteste Schwiegersohn. Bei geöffneten Fenster streute er weiter Opfergeld auf die Straße, bis das Ziel erreicht war. Im Krematorium ging dann alles ganz schnell. Als wir eintraten, befand sich der Sarg bereits auf dem linken Fördergestell zu einer der drei Feuerkammern. Die Halle war groß und schmucklos. Um die Klappen zu den Feuerkammer war die Wand von der Hitze geschwärzt. Diese Fabrikatmosphäre war schon grenzwertig, um dem Verstorbenen einen angemessenen letzten Abschied zu geben. An der rechten Feuerkammer hatte gerade eine Trauergesellschaft den Körper ihres Lieben den Flammen übergeben. Diese Gruppe erschien übrigens deutlich westlicher gekleidet. Das Krematorium bietet auch die Möglichkeit zur Verbrennung von Opfergaben, was wir bereits am Vortag im heimischer Umgebung erledigt hatten. In Kaohsiung sind Feuerbestattungen kostenfrei, weil damit Flächen gespart werden können und Problemen einer geeigneten Bodenbeschaffenheit für Friedhöfe aus dem Weg gegangen wird. Einige Wochen später erschien in der Lokalpresse ein Bericht über das Bochumer Krematorium, wo die Stadt als Betreiber medizinische Prothesen der Verstorbenen, insbesondere die Edelmetalle daraus, ohne Wissen und Einverständnis der Angehörigen noch für die eigenen Finanzen vergoldet wird. Ob das in Taiwan so ähnlich läuft?
Die drei Priester des Bestattungsinstituts leiteten für uns im Krematorium die Zeremonie vor dem Sarg mit Danksagungen, Verbeugungen mit Räucherstäbchen und Niederknien. In der ersten Reihe standen die Söhne und der erstgeborene Enkelsohn, dann folgten Schwiegertöchter und weitere Kinder der Söhne, die Schwiegertöchter und anderen Trauergäste. Der erstgeborene Sohn trug wieder den Fetisch vom Vortag. Wir dankten und verabschiedeten uns wieder gegenüber dem Verstorbenen und warfen uns vor ihm auf den harten und staubigen Boden des Krematoriums. Beim Aufstehen war der Sarg aus edlem Holz, in Papier gehüllt und mit gefaltenen Papierlotusblüten geschmückt, bereits hinter der geschlossenen Feuerkammertür verschwunden.
Mit dem Bus ging es sofort zurück. An jeder Straßenkreuzung und Brücke wurde der Verstorbene angerufen. Bei der Ankunft war das große Trauerzelt schon fast wieder abgebaut. Alle Trauergäste wuschen sich symbolisch mit Wasser aus Eimern und aßen von einem großen Kuchen. Bei der Verabschiedung gab es für die Gäste Päckchen, gefüllt mit Kuchen und süßen Milchtee, beziehungsweise zur Danksagung auch einen Kartons mit Handtüchern. Der Priester reinigte nun die Straße mit Wasser und Glockenläuten von allem Bösen. Die noch anwesenden Verwandten aßen zur mittlerweile erreichten Mittagszeit gemeinsam Reis und eine süßsaure Gemüsesuppe.
Die Berge im Rücken, das Meer vor sich - Beerdigungsstätten wie nahe Kending mit so einem guten Feng Shui sind ein Ideal, das sich nur frühere Generationen leisten konnten. Heute sind solche Ruheplätze für fast alle Taiwaner unerreichbar. Der moderne Staat fördert massiv Feuerbestattungen.
Die Söhne und der Sohn des Erstgeborenen fuhren am frühren Nachmittag mit einem Wagen des Beerdigungsinstituts zurück zum Krematorium, um die erkaltete Asche und Überreste in die Urne zu füllen und abzuholen. Das Aufnehmen der Knochen ist dabei eine wichtige Handlung.
In der Zeit waren die anderen Verwandten bereits auf dem Weg zum Beinhaus. Beinhäuser sind für viele in Taiwan offenbar eine Kapitalanlage, denn die kleinen unbelegten Ruhestätten können zu einem höheren als den Erwerbspreis später weiter veräußert werden. Der Preis soll sich dabei nach der Lage im Gebäude richten. Die Anlage, zu der wir fuhren, hatte zwei große Turmbauten und dazwischen einen Tempel mit drei großen Statuen im Inneren.
Jeder der gewaltigen Türme hat etwa sieben bis neun Stockwerke. Ähnlich einem Archiv sind im Inneren enge Gänge mit Kassettenschränken, die tausende von Urnen aufnehmen kann. Neben dem Treppenhaus verfügten die Türme auch über eine Aufzugsanlage. Nach einer Zeremonie im Tempel wurde die Urne zu ihrem Platz gebracht. Die Priester segneten den Ort und jeder verabschiedete sich nochmals vom Verstorbenen. Nachdem ich als letzter Trauernder passiert hatte, schloss der Wärter die Kassette.
Zurück im Dorf wurden noch die Gaben für den Verstorbenen aufgeteilt. Dabei waren viele zweckmäßige Dinge, die ihm im Jenseits zu Gute kommen, wie Lebensmittel, Nudeln, Öl oder Getränke. Möglichst am gleichen Tag ging der Weg der Söhne noch für einen Kurzhaarschnitt zum Frisör und der Rasierer wurde auch wieder benutzt. Für die kommenden Monate gab es einen Plan vom Bestattungsinstitut, welche religiösen Ämter und Dienste für den Verstorben erfolgen müssen. Am Hausschrein wird ihm gedacht und so bleibt er zwischen uns, teilt mit uns die Träume und Gedanken.
Samstag, 29. Juni 2013
Abschied, Schmerz und Hoffnung (I)
Bestattungen in Taiwan
Es fiel mir anfänglich schwer Informationen zu finden, was denjenigen erwartet, der nach Taiwan reist und mit dort einem Trauerfall konfrontiert wird. Natürlich hatte mich meine Frau informiert. Aber was für sie aufgrund ihrer Sozialisierung selbstverständlich ist, kann für mich zum Bereich des Undenkbaren gehören. So erinnerte ich mich an frühe Schilderungen von Ludigel, die sehr beeindruckend waren. Im Internet fand sich ansonsten Orientierung etwa bei Virtualtourist oder der „Schleifendruckerei“. Es finden sich auch – mal wieder - abgefahrene Taiwan-Sachen, wie die „Funeral Strippers“, die ich nun überhaupt nicht mit meiner Familie in Verbindung bringen könnte. Auch meine Frau hat die sexy Tänzerinnen, die ja gar nicht strippen, also wie Ursula Martinez ihre Kleidung ablegen, noch nie in Verbindung mit Beerdigungen, wohl aber bei Tempelfesten oder Hochzeiten gesehen.
Einen umfassenden Einblick in den Aufwand, der mit einer Trauerfeier in Taiwan verbunden sein kann, gibt Douglas M. Gildow auf seiner Webseite.
Die Riten sind dabei offenbar in Taiwan sehr vielfältig, sie hängen von der örtlichen Gemeinschaft, der Volksgruppe, der sozialen Zugehörigkeit, den Einstellungen in der Familie und dem Status ab. Eine große Familie auf dem Land kann (und muss ) sicher mehr Aufwand veranlassen als eine Kleinfamilie in den verstädterten Gebieten. Oft weiß die betroffene Familie nicht in allen Details, was zu beachten ist, da Todesfälle sehr selten eintreten. Nachbarn, Verwandte, Freunde und das „Höflichkeitsinstitut“, wie die Bestattungsunternehmen genannt werden, geben dann Hinweise. Wie bei uns sind Riten dem Wandel der Zeit unterworfen. Die Anforderungen des modernen Lebens, etwa der Zwang an Schulprüfungen in einer straff auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft teilzunehmen, verhindern beispielsweise, dass alle Enkel an einer Bestattung teilnehmen können.
Die Nähe zum Tod und die Betroffenheit, die eigene Trauer und Würde bei der Angelegenheit sprechen meines Erachtens dagegen, Fotos zu machen und das Geschehen mit Neugier zu betrachten. Zudem kommt, dass der Tod in Taiwan allgemein noch stärker als in der deutschen Gesellschaft tabuisiert und möglichst verdrängt wird.
Im Laufe meines Aufenthaltes lernte ich, mich von westlichen Denkmustern zu befreien. Viele unserer Prinzipien haben in Taiwan keine Bedeutung. Geht es im Westen traditionell im Kern um Fürbitten gegenüber einem Gott für den Verstorbenen, so sind die östlichen Handlungsmuster durch den Dank an den Verstorbenen während seines irdischen Lebens geprägt. Mit dem Tod lösen sich im Osten Körper und Geist voneinander. Der Geist des Verstorbenen bleibt unter uns, eben nur auf einer quasi anderen „Wellenlänge“. Der häusliche Schrein dient seiner Verehrung und bildet den Mittelpunkt der Erinnerung. Demgegenüber ist der Gedanke der Wiederauferstehung, die Bedeutung des Begräbnisortes, des Friedhofs, die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode in einem Himmel über dieser Welt deutlich stärker im westlichen Denken und hier tiefer verankert. Eine Hölle und ein Fegefeuer, bei denen der Mensch für schlechte Taten geläutert wird, gibt es in beiden Kulturkreisen, wie religiöse Darstellungen bei den Trauerzeremonien in Taiwan klar – in Anlehnung an Hieronymus Bosch – zeigten.
Volksreligion und Aberglaube, Buddhismus und Taoismus, konfuzianische Werte lassen sich im Alltagsleben nicht abgrenzen und vermischen sich. Die Vielfalt in der Religionsausübung und spirituelle Vorstellungen überwältigen leicht den christlich geprägten Durchschnittsmenschen aus dem Westen in Taiwan: Der neu errichtete Teil des buddhistischen Zentrums Fo Guan Shan in Kaohsiung irritiert dadurch, dass für ihn die natürliche Landschaft platt gemacht wurde und unkritisch faschistoide Architekturmerkmale durch Größe und Symmetrie aufgenommen werden.
Der Tod kam mit einer nicht mehr heilbaren, schweren Krebserkrankung, die alle Kräfte innerhalb weniger Monate raubte. Als der Zeitpunkt erkennbar war, ging der letzte Weg nach Hause, da es in Taiwan wichtig ist, das irdische Dasein hier und im Kreise der Familie zu beenden. So bemühten sich alle Verwandten schnellstmöglich zu kommen, um sich von der geliebten Person verabschieden zu können. Nach dem Tode durften sich Verwandte und Anverwandte bei ihrer Ankunft nur noch auf Knien dem Sarg nähern.
Von solchen Gesten wurde bei mir abgesehen, da meine Familie grundsätzlich sehr pragmatisch und liberal ist. Es ist eher der soziale Druck und die Erwartungshaltung von Außen, die zu bestimmten Verhaltensanpassungen wie oben beschrieben führt.
Überhaupt geht das Konzept beim Todesfall von einer stark verwandtschaftlichen Abstufung und Geschlechterdifferenzierung aus. Zuvorderst steht der erstgeborene Sohn. Ihm kommt die wichtige Rolle zu, dem Vater nachzufolgen und damit dem Familienclan vorzustehen. Der hat die meisten Pflichten und Entscheidungen zu treffen.
Das macht die Rolle für den zweitgeborenen Sohn nicht einfach. Damit der Erstgeborene, die ihm zugedachte Rolle bestmöglich ausüben kann und seine Entwicklung gefördert wird, ist es zweckmäßig, ihm das Beste zukommen zu lassen. Damit wird die Nummer Zwei notwendigerweise herabgesetzt. Einfacher ist es da schon für den dritten Sohn. Aufgrund der zeitlichen Distanz zwischen den Geburten, sollten dem männlichen „Nesthäkchen“ wieder mehr an Anerkennung und Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Druck dem Patriarchen irgendwann nachfolgen zu müssen, ist gering und gibt ihm mehr Freiheiten und Spielräume.
In der Abstufung folgen nach den Söhnen ihre Kinder männlichen Geschlechts, also die Enkelsöhne, hier besonders der älteste Sohn des Erstgeborenen. Dass in dieser Gruppe auch die Enkeltöchter der Söhne berücksichtigt werden, erscheint bereits als neuzeitliche Entwicklung vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gleichstellung von Männern und Frauen. Ebenfalls in dieser Einstufung hochgestellt sind die Ehefrauen der Söhne.
Interessant bei der Geschlechterbetrachtung im chinesischen Kulturkreis ist, dass sprachlich nicht zwischen männlich und weiblich unterschieden wird, aber sozial traditionell dem Mann- und Frausein eine große Bedeutung und Wertigkeit zukommt. Wenn auch in Deutschland historisch Frauen sozial immer zurückgestellt wurden, war meines Erachtens eine (Gleich-) Wertigkeit im gewissen Sinne gegeben: In der mitteleuropäischen Wildnis wird jeder Mensch und seine Arbeitskraft gebraucht, um Durchzukommen. Sprachlich hingegen differenziert das Deutsch extrem zwischen weiblich, männlich und sogar sächlich! Aber vielleicht täuscht mich auch meine maskuline Perspektive.
In der sozialen Gruppierung stehen die Töchter des Clanchef grundsätzlich bereits außerhalb des Familienverbandes, da sie sich den Familien ihrer Ehemänner angeschlossen haben. Aber sie teilen immer noch die Gene und ihre Herkunft mit dem Vater.
Während der Trauerzeremonien tragen die vier vorgenannten Gruppen eine besondere Trauerbekleidung: die Söhne und deren Ehefrauen tragen eine Kopfbedeckung und Weste aus hellbraunem Jutegewebe über weißer Kleidung, einem eher sportlichen Sweater mit Hose. Die Töchter und die Kinder der Söhne des Clanchefs tragen über der weißen Kleidung eine Weste aus einem eher gelben einfachen Gewebe. Die Ehemänner der Töchter blieben zunächst bis zum Bestattungstag ohne besondere Trauerbekleidung, deren Kinder gänzlich ohne.
Die Trauerzeremonien finden über viele Tage statt. Während ich in Deutschland die Bestattungsunternehmen im Wesentlichen als althergebrachte Familienunternehmen kenne, war in Taiwan alles über einen privaten Tempel organisiert. Die Chefin und Direktorin des Unternehmens war die Ehefrau des Wunderheilers, der sich zuvor um die Wiederherstellung der Gesundheit des Verstorbenen bemüht hatte. Ihr Neffe und eine Vielzahl von Assistenten managte nun den gesamten Ablauf der Trauer und Bestattung. Das Unternehmen sorgte auch für die drei Priester, respektive Schamanen.
Wie geschrieben werden die Beerdigungsinstitute in Taiwan „Höflichkeitsinstitute“ genannt. Früher hatten sie einen schlechten Ruf. Deshalb wird gesagt, dass heute bevorzugt gutaussehende, adrette und seriös wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden. Ihre Erscheinung, etwa mit weißen Hemd und schwarzer Hose beziehungsweise dunklem Kostüm, wirkt sehr westlich geprägt. Da der Tod etwas Schmutziges ist, von dem Orte und Person reinzuhalten oder zu reinigen sind, wird gewiss auch deshalb eine neutrale Bezeichnung für die Bestattungsunternehmen gewählt.
Dennoch bleibt der Verstorbene viele Tage im heimischen Umfeld. Der Sarg wird schnell verschlossen. Eine offene Aufbahrung wie in Deutschland findet nicht statt. Der Sarg war eingehüllt und mit aus Papier gefaltenen Lotusblumen geschmückt. Er stand im hinteren Teil der Eingangshalle des Reihenhauses einer der Söhne. Das Haus wurde aufgrund seiner Lage mit ausreichend Platz im Straßenraum für das später notwendige Trauerzelt gewählt.
Vor dem Sarg war ein Opferaltar aufgebaut, so dass er von Außen nicht sichtbar war. Auf dem Opferaltar thronten drei Götterstatuen. Ein sehr schönes, hinterleuchtetes Portraitbild des Verstorbenen, etwas aufgehellt vor einer verklärten Landschaft, die Taiwans Küste und Berge wiedergab, oben umrahmt von durchschienenen Bambusblättern, im Zentrum des Schreins brachte ihn in die Mitte der Anwesenden zurück und gab ihm Präsenz. Der Tisch war gefüllt mit Gaben und Blumen, Obst und Wasser für den Verstorbenen und einer Schale für die Räucherstäbchen. Rechts vom Schrein standen Schuhe und Kleidung für den Verstorbenen. Im restlichen vorderen Teil des Raumes und vor dem Haus stand seitlich der Blumenschmuck auf säulenförmigen Metalltischen, die von seidengleichen Schals bedeckt waren. Üblich ist, dass der Blumenschmuck jeweils paarweise etwa von Freunden, den Familien der Schwiegereltern der Kinder, Nachbarn, Geschäftspartnern oder auch von den Arbeitgebern der Söhne gegeben wird. So fand sich auch hier der Name meiner Familie an zwei Blumengestecken. Daneben gab es viele Geschenke für den Verstorbenen so in Form von großen Papiermodellen von Häusern und Autos der Marke BMW und Mercedes, die neben dem Sarg aufgestellt waren.
Solange sich der Sarg im Haus befindet, halten Familienmitglieder abwechselnd die Totenwache. Während in Deutschland Fristen zur Bestattung bestehen und alles möglichst schnell geschehen sollte, kann in Taiwan die Zeit des Abschieds und der Totenwache fast nicht lang genug sein.Dies ist die Zeit der Besinnlichkeit, an den Verstorbenen zu denken, Gefühle und alte Geschichten auszutauschen. Die folgenden Zeremonien bieten dafür keine Gelegenheit mehr. Es wird in der gesamten Zeit nur vegetarisch gegessen. Die Angehörigen rasieren sich nicht und lassen die Haare wachsen. Während der Totenwache gibt es keine strengen Regeln für die Bekleidung. Nur Rot ist als Farbe verpönt, da sie Glück und Freude symbolisiert. Dunkle und weiße Kleidung wird bevorzugt, so dass wer den deutschen Gewohnheiten folgt kulturell auch in Taiwan nicht falsch liegt.
Die engeren Familienangehörigen tragen eine kleine Stoffbinde oder mehr einen Anstecker mit einem Stoffstreifen, wenn sie sich in der Nähe aufhalten. Dieser wird abgelegt, wenn sie wieder fortgehen. Das Zeichen der Trauer und damit Nähe zu einem Toten gehabt zu haben, wird von vielen Menschen in Taiwan als unangenehm empfunden und als Nachteil im öffentlichen Leben angesehen.
In den Tagen finden verschiedenste Zeremonien unter Beteiligung der Priester statt. Da der Verstorbene aufgrund seiner Erkrankung viel Medizin einnehmen musst, werden im Ritual sein Körper und Geist von den Qualen gereinigt und vom Leid befreit.
Vor dem Tag der Bestattung wird auf der Straße das große Trauerzelt aufgebaut. Zuvor fanden Danksagungen und Gebete zum Verstorbenen nach einer festgelegten Ordnung für die bestimmten Gruppen, wie Enkel, Töchter oder Söhne, vor dem Schrein in der Eingangshalle des Hauses statt. Mit dem Trauerzelt wurde im hinteren Bereich ein Schrein vor verschiedenen Bilderrollen aufgebaut. Der Platz davor konnten danach für Gebete genutzt werden, wobei jetzt auch die Schwiegersöhne einbezogen und die Zeremonien intensiver wurden.
Von Bestattungsinstitut wurde zudem ein schöner und gesunder weißer Hahn angeliefert. „Der wird gekillt!“, sagte mein Schwager und zeigte mit dem Finger an seinen Hals. Falsch, das schöne Tier überlebte, musste aber – so wurde mir gesagt – bei einer Zeremonie etwas Blut spenden. Die meiste Zeit des Tages saß der Vogel entspannt wie ein Beerdigungsprofi angebunden unter einem Stuhl und erweckte vor allem das Interesse der jüngeren Enkelkinder des Verstorbenen.
Den Auftritt des Hahns verpasste ich, weil zu dem Zeitpunkt am Nachmittag Schwiegersöhne und deren Kinder die Aufgabe hatten, in Massen Opfergeld, scheinbar auch angedeutete Wertpapieren und Aktien vor dem Zelt in einem fassähnlichen Ofen unter Anleitung einer Mitarbeiterin des Bestattungsinstituts zu verbrennen. Das Feuer schlug sehr hoch und entwickelte eine starke Hitze, wohl auch deshalb, weil das fette Papier besonders vorbehandelt ist.
Zum Abend ging es dann an den Ortsrand, um in einem hohen Gittercontainer Säcke gefaltenen Papiergeldes in historischer Form und die Papiermodellen von Haus, Wächtern und Autos sowie die Kleidung der Verstorbenen zu verbrennen und ihm so zukommen zu lassen.
Die Trauergäste standen in einem Kreis um den Feuerplatz und waren durch ein weißes Band verbunden, dass die in den Händen hielten. Der älteste Sohn des Verstorbenen hatte einen Fetisch, einen Stab, an dem eine Art Lampenschirm und anderes befestigt war. Im Laufe der Zeremonie wurde der Feuerplatz mehrmals gemeinsam umschritten, bis alles abgebrannt war.
Es fiel mir anfänglich schwer Informationen zu finden, was denjenigen erwartet, der nach Taiwan reist und mit dort einem Trauerfall konfrontiert wird. Natürlich hatte mich meine Frau informiert. Aber was für sie aufgrund ihrer Sozialisierung selbstverständlich ist, kann für mich zum Bereich des Undenkbaren gehören. So erinnerte ich mich an frühe Schilderungen von Ludigel, die sehr beeindruckend waren. Im Internet fand sich ansonsten Orientierung etwa bei Virtualtourist oder der „Schleifendruckerei“. Es finden sich auch – mal wieder - abgefahrene Taiwan-Sachen, wie die „Funeral Strippers“, die ich nun überhaupt nicht mit meiner Familie in Verbindung bringen könnte. Auch meine Frau hat die sexy Tänzerinnen, die ja gar nicht strippen, also wie Ursula Martinez ihre Kleidung ablegen, noch nie in Verbindung mit Beerdigungen, wohl aber bei Tempelfesten oder Hochzeiten gesehen.
Einen umfassenden Einblick in den Aufwand, der mit einer Trauerfeier in Taiwan verbunden sein kann, gibt Douglas M. Gildow auf seiner Webseite.
Die Riten sind dabei offenbar in Taiwan sehr vielfältig, sie hängen von der örtlichen Gemeinschaft, der Volksgruppe, der sozialen Zugehörigkeit, den Einstellungen in der Familie und dem Status ab. Eine große Familie auf dem Land kann (und muss ) sicher mehr Aufwand veranlassen als eine Kleinfamilie in den verstädterten Gebieten. Oft weiß die betroffene Familie nicht in allen Details, was zu beachten ist, da Todesfälle sehr selten eintreten. Nachbarn, Verwandte, Freunde und das „Höflichkeitsinstitut“, wie die Bestattungsunternehmen genannt werden, geben dann Hinweise. Wie bei uns sind Riten dem Wandel der Zeit unterworfen. Die Anforderungen des modernen Lebens, etwa der Zwang an Schulprüfungen in einer straff auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft teilzunehmen, verhindern beispielsweise, dass alle Enkel an einer Bestattung teilnehmen können.
Die Nähe zum Tod und die Betroffenheit, die eigene Trauer und Würde bei der Angelegenheit sprechen meines Erachtens dagegen, Fotos zu machen und das Geschehen mit Neugier zu betrachten. Zudem kommt, dass der Tod in Taiwan allgemein noch stärker als in der deutschen Gesellschaft tabuisiert und möglichst verdrängt wird.
Im Laufe meines Aufenthaltes lernte ich, mich von westlichen Denkmustern zu befreien. Viele unserer Prinzipien haben in Taiwan keine Bedeutung. Geht es im Westen traditionell im Kern um Fürbitten gegenüber einem Gott für den Verstorbenen, so sind die östlichen Handlungsmuster durch den Dank an den Verstorbenen während seines irdischen Lebens geprägt. Mit dem Tod lösen sich im Osten Körper und Geist voneinander. Der Geist des Verstorbenen bleibt unter uns, eben nur auf einer quasi anderen „Wellenlänge“. Der häusliche Schrein dient seiner Verehrung und bildet den Mittelpunkt der Erinnerung. Demgegenüber ist der Gedanke der Wiederauferstehung, die Bedeutung des Begräbnisortes, des Friedhofs, die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode in einem Himmel über dieser Welt deutlich stärker im westlichen Denken und hier tiefer verankert. Eine Hölle und ein Fegefeuer, bei denen der Mensch für schlechte Taten geläutert wird, gibt es in beiden Kulturkreisen, wie religiöse Darstellungen bei den Trauerzeremonien in Taiwan klar – in Anlehnung an Hieronymus Bosch – zeigten.
Volksreligion und Aberglaube, Buddhismus und Taoismus, konfuzianische Werte lassen sich im Alltagsleben nicht abgrenzen und vermischen sich. Die Vielfalt in der Religionsausübung und spirituelle Vorstellungen überwältigen leicht den christlich geprägten Durchschnittsmenschen aus dem Westen in Taiwan: Der neu errichtete Teil des buddhistischen Zentrums Fo Guan Shan in Kaohsiung irritiert dadurch, dass für ihn die natürliche Landschaft platt gemacht wurde und unkritisch faschistoide Architekturmerkmale durch Größe und Symmetrie aufgenommen werden.
Der Tod kam mit einer nicht mehr heilbaren, schweren Krebserkrankung, die alle Kräfte innerhalb weniger Monate raubte. Als der Zeitpunkt erkennbar war, ging der letzte Weg nach Hause, da es in Taiwan wichtig ist, das irdische Dasein hier und im Kreise der Familie zu beenden. So bemühten sich alle Verwandten schnellstmöglich zu kommen, um sich von der geliebten Person verabschieden zu können. Nach dem Tode durften sich Verwandte und Anverwandte bei ihrer Ankunft nur noch auf Knien dem Sarg nähern.
Von solchen Gesten wurde bei mir abgesehen, da meine Familie grundsätzlich sehr pragmatisch und liberal ist. Es ist eher der soziale Druck und die Erwartungshaltung von Außen, die zu bestimmten Verhaltensanpassungen wie oben beschrieben führt.
Überhaupt geht das Konzept beim Todesfall von einer stark verwandtschaftlichen Abstufung und Geschlechterdifferenzierung aus. Zuvorderst steht der erstgeborene Sohn. Ihm kommt die wichtige Rolle zu, dem Vater nachzufolgen und damit dem Familienclan vorzustehen. Der hat die meisten Pflichten und Entscheidungen zu treffen.
Das macht die Rolle für den zweitgeborenen Sohn nicht einfach. Damit der Erstgeborene, die ihm zugedachte Rolle bestmöglich ausüben kann und seine Entwicklung gefördert wird, ist es zweckmäßig, ihm das Beste zukommen zu lassen. Damit wird die Nummer Zwei notwendigerweise herabgesetzt. Einfacher ist es da schon für den dritten Sohn. Aufgrund der zeitlichen Distanz zwischen den Geburten, sollten dem männlichen „Nesthäkchen“ wieder mehr an Anerkennung und Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Druck dem Patriarchen irgendwann nachfolgen zu müssen, ist gering und gibt ihm mehr Freiheiten und Spielräume.
In der Abstufung folgen nach den Söhnen ihre Kinder männlichen Geschlechts, also die Enkelsöhne, hier besonders der älteste Sohn des Erstgeborenen. Dass in dieser Gruppe auch die Enkeltöchter der Söhne berücksichtigt werden, erscheint bereits als neuzeitliche Entwicklung vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gleichstellung von Männern und Frauen. Ebenfalls in dieser Einstufung hochgestellt sind die Ehefrauen der Söhne.
Interessant bei der Geschlechterbetrachtung im chinesischen Kulturkreis ist, dass sprachlich nicht zwischen männlich und weiblich unterschieden wird, aber sozial traditionell dem Mann- und Frausein eine große Bedeutung und Wertigkeit zukommt. Wenn auch in Deutschland historisch Frauen sozial immer zurückgestellt wurden, war meines Erachtens eine (Gleich-) Wertigkeit im gewissen Sinne gegeben: In der mitteleuropäischen Wildnis wird jeder Mensch und seine Arbeitskraft gebraucht, um Durchzukommen. Sprachlich hingegen differenziert das Deutsch extrem zwischen weiblich, männlich und sogar sächlich! Aber vielleicht täuscht mich auch meine maskuline Perspektive.
In der sozialen Gruppierung stehen die Töchter des Clanchef grundsätzlich bereits außerhalb des Familienverbandes, da sie sich den Familien ihrer Ehemänner angeschlossen haben. Aber sie teilen immer noch die Gene und ihre Herkunft mit dem Vater.
Während der Trauerzeremonien tragen die vier vorgenannten Gruppen eine besondere Trauerbekleidung: die Söhne und deren Ehefrauen tragen eine Kopfbedeckung und Weste aus hellbraunem Jutegewebe über weißer Kleidung, einem eher sportlichen Sweater mit Hose. Die Töchter und die Kinder der Söhne des Clanchefs tragen über der weißen Kleidung eine Weste aus einem eher gelben einfachen Gewebe. Die Ehemänner der Töchter blieben zunächst bis zum Bestattungstag ohne besondere Trauerbekleidung, deren Kinder gänzlich ohne.
Die Trauerzeremonien finden über viele Tage statt. Während ich in Deutschland die Bestattungsunternehmen im Wesentlichen als althergebrachte Familienunternehmen kenne, war in Taiwan alles über einen privaten Tempel organisiert. Die Chefin und Direktorin des Unternehmens war die Ehefrau des Wunderheilers, der sich zuvor um die Wiederherstellung der Gesundheit des Verstorbenen bemüht hatte. Ihr Neffe und eine Vielzahl von Assistenten managte nun den gesamten Ablauf der Trauer und Bestattung. Das Unternehmen sorgte auch für die drei Priester, respektive Schamanen.
Wie geschrieben werden die Beerdigungsinstitute in Taiwan „Höflichkeitsinstitute“ genannt. Früher hatten sie einen schlechten Ruf. Deshalb wird gesagt, dass heute bevorzugt gutaussehende, adrette und seriös wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden. Ihre Erscheinung, etwa mit weißen Hemd und schwarzer Hose beziehungsweise dunklem Kostüm, wirkt sehr westlich geprägt. Da der Tod etwas Schmutziges ist, von dem Orte und Person reinzuhalten oder zu reinigen sind, wird gewiss auch deshalb eine neutrale Bezeichnung für die Bestattungsunternehmen gewählt.
Dennoch bleibt der Verstorbene viele Tage im heimischen Umfeld. Der Sarg wird schnell verschlossen. Eine offene Aufbahrung wie in Deutschland findet nicht statt. Der Sarg war eingehüllt und mit aus Papier gefaltenen Lotusblumen geschmückt. Er stand im hinteren Teil der Eingangshalle des Reihenhauses einer der Söhne. Das Haus wurde aufgrund seiner Lage mit ausreichend Platz im Straßenraum für das später notwendige Trauerzelt gewählt.
Vor dem Sarg war ein Opferaltar aufgebaut, so dass er von Außen nicht sichtbar war. Auf dem Opferaltar thronten drei Götterstatuen. Ein sehr schönes, hinterleuchtetes Portraitbild des Verstorbenen, etwas aufgehellt vor einer verklärten Landschaft, die Taiwans Küste und Berge wiedergab, oben umrahmt von durchschienenen Bambusblättern, im Zentrum des Schreins brachte ihn in die Mitte der Anwesenden zurück und gab ihm Präsenz. Der Tisch war gefüllt mit Gaben und Blumen, Obst und Wasser für den Verstorbenen und einer Schale für die Räucherstäbchen. Rechts vom Schrein standen Schuhe und Kleidung für den Verstorbenen. Im restlichen vorderen Teil des Raumes und vor dem Haus stand seitlich der Blumenschmuck auf säulenförmigen Metalltischen, die von seidengleichen Schals bedeckt waren. Üblich ist, dass der Blumenschmuck jeweils paarweise etwa von Freunden, den Familien der Schwiegereltern der Kinder, Nachbarn, Geschäftspartnern oder auch von den Arbeitgebern der Söhne gegeben wird. So fand sich auch hier der Name meiner Familie an zwei Blumengestecken. Daneben gab es viele Geschenke für den Verstorbenen so in Form von großen Papiermodellen von Häusern und Autos der Marke BMW und Mercedes, die neben dem Sarg aufgestellt waren.
Solange sich der Sarg im Haus befindet, halten Familienmitglieder abwechselnd die Totenwache. Während in Deutschland Fristen zur Bestattung bestehen und alles möglichst schnell geschehen sollte, kann in Taiwan die Zeit des Abschieds und der Totenwache fast nicht lang genug sein.Dies ist die Zeit der Besinnlichkeit, an den Verstorbenen zu denken, Gefühle und alte Geschichten auszutauschen. Die folgenden Zeremonien bieten dafür keine Gelegenheit mehr. Es wird in der gesamten Zeit nur vegetarisch gegessen. Die Angehörigen rasieren sich nicht und lassen die Haare wachsen. Während der Totenwache gibt es keine strengen Regeln für die Bekleidung. Nur Rot ist als Farbe verpönt, da sie Glück und Freude symbolisiert. Dunkle und weiße Kleidung wird bevorzugt, so dass wer den deutschen Gewohnheiten folgt kulturell auch in Taiwan nicht falsch liegt.
Die engeren Familienangehörigen tragen eine kleine Stoffbinde oder mehr einen Anstecker mit einem Stoffstreifen, wenn sie sich in der Nähe aufhalten. Dieser wird abgelegt, wenn sie wieder fortgehen. Das Zeichen der Trauer und damit Nähe zu einem Toten gehabt zu haben, wird von vielen Menschen in Taiwan als unangenehm empfunden und als Nachteil im öffentlichen Leben angesehen.
In den Tagen finden verschiedenste Zeremonien unter Beteiligung der Priester statt. Da der Verstorbene aufgrund seiner Erkrankung viel Medizin einnehmen musst, werden im Ritual sein Körper und Geist von den Qualen gereinigt und vom Leid befreit.
Vor dem Tag der Bestattung wird auf der Straße das große Trauerzelt aufgebaut. Zuvor fanden Danksagungen und Gebete zum Verstorbenen nach einer festgelegten Ordnung für die bestimmten Gruppen, wie Enkel, Töchter oder Söhne, vor dem Schrein in der Eingangshalle des Hauses statt. Mit dem Trauerzelt wurde im hinteren Bereich ein Schrein vor verschiedenen Bilderrollen aufgebaut. Der Platz davor konnten danach für Gebete genutzt werden, wobei jetzt auch die Schwiegersöhne einbezogen und die Zeremonien intensiver wurden.
Von Bestattungsinstitut wurde zudem ein schöner und gesunder weißer Hahn angeliefert. „Der wird gekillt!“, sagte mein Schwager und zeigte mit dem Finger an seinen Hals. Falsch, das schöne Tier überlebte, musste aber – so wurde mir gesagt – bei einer Zeremonie etwas Blut spenden. Die meiste Zeit des Tages saß der Vogel entspannt wie ein Beerdigungsprofi angebunden unter einem Stuhl und erweckte vor allem das Interesse der jüngeren Enkelkinder des Verstorbenen.
Den Auftritt des Hahns verpasste ich, weil zu dem Zeitpunkt am Nachmittag Schwiegersöhne und deren Kinder die Aufgabe hatten, in Massen Opfergeld, scheinbar auch angedeutete Wertpapieren und Aktien vor dem Zelt in einem fassähnlichen Ofen unter Anleitung einer Mitarbeiterin des Bestattungsinstituts zu verbrennen. Das Feuer schlug sehr hoch und entwickelte eine starke Hitze, wohl auch deshalb, weil das fette Papier besonders vorbehandelt ist.
Zum Abend ging es dann an den Ortsrand, um in einem hohen Gittercontainer Säcke gefaltenen Papiergeldes in historischer Form und die Papiermodellen von Haus, Wächtern und Autos sowie die Kleidung der Verstorbenen zu verbrennen und ihm so zukommen zu lassen.
Die Trauergäste standen in einem Kreis um den Feuerplatz und waren durch ein weißes Band verbunden, dass die in den Händen hielten. Der älteste Sohn des Verstorbenen hatte einen Fetisch, einen Stab, an dem eine Art Lampenschirm und anderes befestigt war. Im Laufe der Zeremonie wurde der Feuerplatz mehrmals gemeinsam umschritten, bis alles abgebrannt war.
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