Mittwoch, 14. November 2012

Zettelsammler

Dieser neue Artikel im Blog sollte ursprünglich unter dem Titel „Nageltee“ über einen nachgenutzten „Bubble-Tea“-Laden in einer benachbarten westdeutschen Großstadt berichten. Die reißerisch bunte Werbung für den Teeladen war noch halb an der Hausfassade vorhanden.

Genutzt wurde das Lokal aber durch ein asiatisches Fuß- und Fingernagelstudio, was zwar die asiatische Flexibilität und Geschäftstüchtigkeit nachwies, wenn es mit einer Sache nicht so richtig läuft, auf das nächste Geschäftsfeld auszuweichen. Andererseits wirkte es irgendwie unappetitlich auf den Betrachter, der die Theke im Laden mit seinen Blicken suchte, das gesüßte und aromatisierte Getränk mit gefeilten und lackierten Fingernägeln in Verbindung gebracht zu sehen.

Leider habe ich das Foto des Geschäfts ohne Sicherung auf der Festplatte von Speicherkarte gelöscht. Der Herbsturlaub stand bevor und da wurde Speicherplatz gebraucht. Auf eine weitere Vertiefung des aus den Schlagzeilen gekommenen Themas werde ich folglich verzichten.

Der nächste „Bubble-Tea“-Ausschank, geöffnet und weiterhin existent, fand sich übrigens direkt auf der anderen Straßenseite in einem großen Einkaufszentrum. Trotz allen scheint eine ausreichend gute Versorgungssituation zu bestehen, die zumindest alle großen Stadtzentren in der Region abdeckt.

Besserer und dankenswerter Stichwortgeber ist da Ludigel mit seinen Ausführungen zum Thema „Abschleppen“. Der gesichtete Dreier-BMW lässt sich noch toppen. Wie schon geschrieben, im Süden ist alles besser. Sogar die Kaohsiunger Parktickets wirken in ihrer Aufmachung aufwändiger und designorientierter.

Sicherlich muss man sich nach von der heimischen Knöllchen-Philosophie verabschieden. Im deutschen Heimatland gilt, dass alle Autofahrer per se als Halbkriminelle gelten, denen erstmal alles Schlechte zu unterstellen ist, die stets misstrauisch gejagt und bestraft werden müssen. Jeder ist ein potenzieller Verkehrssünder und - trotz aller preußischer Reformen nach Napoleon – ein Untertan voll anarchischen Gedankenguts, den missmutige Staatsdiener zu beobachten haben, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sprich den uneingeschränkten Autoritätserhalt der Obrigkeit zu sichern. Ein Fehlverhalten ist sofort abzustellen und abzustrafen, um möglichen Nachahmern keine Vorbilder und falsche Ideen anzubieten.

Wie anders und alternativ scheint da doch die Gedankenwelt Taiwans zu sein, auch wenn westliche Denk- und Handlungsmuster teilweise in die Gesellschaft Eingang gefunden haben.

Aufmerksame Parkwächter befestigen keine Knöllchen - Strafmandate und Verwaltungsakte mit Androhung weiterer rechtlicher Maßnahmen - an der Windschutzscheine, sondern Parktickets, die der verehrte Nutzer der Parkmöglichkeit in den nächsten Tagen in einem „Convenience Store“ begleichen kann. Das ist doch sehr zuvorkommend, nicht vom Autofahrer zu verlangen, hunderte von Metern zum nächsten, möglicherweise defekten Parkautomaten zu laufen, Wechselgeld vorzuhalten, genau vorherzusehen, wie lange man parkt, und immer in Gefahr zu sein, bei einem Versäumnis in die Schublade „Verbrecher“ zu kommen.

Nach dem Motto „Wir können auch anders!“ Wer hier die Parkuhr falsch bedient, wird abgeschleppt. Das Kennzeichen der abgeschleppten Fahrzeuge findet sich mit Kreide notiert auf dem Bürgersteig, so dass der Fahrer Bescheid weiß. Sofern keine Handynummer daneben steht, hilft und vermittelt die lokale Polizei gerne bei der Suche nach dem neuen Standort des Fahrzeugs. Das Auto kann dann mittels Taxifahrt irgendwo auf einem Gewerbegrundstück außerhalb der Stadt gegen Auslösung abgeholt werden. Der Verfasser schreibt aus eigener Erfahrung.

Samstag, 10. November 2012

Mama Huhu und die Teigtaschen

Mama Huhu ist korrekt „Mǎmǎ-Hǔhǔ“ (马马虎虎) und bedeutet im Chinesischen „Es geht so.“ oder „So lala!“. Das deutsche Mama lautet chinesisch „māma“ (媽媽). Als ich vor Jahren zum ersten Mal diese chinesische Chilisoße mit dem Werbeaufdruck sah, fiel mir sofort der Begriff Mama Huhu ein.

Auch wenn die Dame so aussieht und als seriöseste Hausfrau, Mutter und um das Wohl der gesamten Familie besorgten Köchen auftritt, es ist nicht Mama Huhu. Es ist Lǎo Gān Mā (老干媽, traditionell geschrieben 老乾媽), also auch eine Mama (媽), aber mehr eine gute alte Patentante. Im Zusammenhang mit Chilisoße ist die alte Patentante ein etabliertes Lebensmittelunternehmen, das die Welt mit ihren ausgezeichneten Produkten versorgt.

Laoganmas Chilisoße ist hervorragend zum Würzen der Shuǐjiǎo (水餃), leckerer Teigtaschen mit einer Füllung aus Hackfleisch, Gemüse und anderem, wie Ingwer und Frühligszwiebeln, geeignet. Als Gemüse nehmen wir in Deutschland je nach Saison Spitzkohl oder Chinakohl. Chinesischer Lauch („Leek“) ist in Deutschland leider zu teuer.

Frische Jiozi kamen in dieser Woche zum Abendessen auf den Tisch. So geformt und ungekocht sind sie am schönsten anzusehen. Ihre Form erinnert in der chinesischen Kultur an historische Geldstücke.

Wirklich eßbar sind sie erst nach dem Kochen.

Neben der Chilisoße gehören zu den Teigtaschen Sesamöl, Sojasoße oder ein besonderer Essig.

Vorsicht beim Gebrauch der Worts Gān, in vereinfachten Schriftzeichen 干, traditionell 乾 in Chinesisch geschrieben. Durch einen falschen Ton wird daraus das hässliche Gàn, vereinfacht bleibt es , traditionell wird es zum 幹. Im Kontext, zum Beispiel bei Lǎo Gān Mā, sollte das mit ausländischem Akzent aber kaum auffallen.

Freitag, 9. November 2012

Zweifel an Make Boluo - Zweifel an Luo You?

Mǎkě Bōluó (馬可 波羅) oder Marco Polo war ein Händler aus Venedig, der dadurch bekannt wurde, dass er Ende des 13. Jahrhunderts über seine Reisen nach China berichtete.

Bradley Mayhew´s „Die Marco Polo Fährte - Abenteuer Seidenstraße“ in fünf Teilen wurde in den letzten Tagen auf Phoenix ausgestrahlt. Der Autor von Reiseführern folgte dabei dem Weg, den der Venezianer im Mittelalter genommen haben sollte.

In der Fernsehdokumentation wird erläutert, wie auch im Artikel auf Wikipedia, dass von einigen bezweifelt wird, ob Marco Polo überhaupt in China war. In seinem Buch fehlen bedeutende und essentielle Themen aus der damaligen chinesischen Kultur, die eigentlich kein Reisender unerwähnt gelassen hätte. Nirgends in Marco Polos Schilderungen werden etwa die chinesische Mauer, die für Europäer außergewöhnlichen Schriftzeichen oder die abgebundenen Füße bei den Frauen genannt.

Bei der Diskussion mit der besten Ehefrau von allen, wie berechtigt der Einwand gegen die Glaubwürdigkeit Marco Polos sein kann, kam der Gedanke, dass auch mein bescheidener Blog in späteren Jahren angezweifelt werden könnte. Es kann durchaus in Frage gestellt werde, dass ich jemals Taiwan bereist habe. Menschen könnten zu der Meinung kommen, dass Luo You nur aus anderen Quellen und Blogs abge-guttenbergt hat und im übrigen nur selbst ersponnene Märchen erzählt. Wie sonst könnten so herausragende Dinge, wie die Taroko-Schlucht unerwähnt bleiben? Kein einziges Mal hast du darüber geschrieben, sagt mein Schatz.

Um also möglichen späteren Ungläubigen dieses Argument zu nehmen, steht hier die Taroko-Schlucht in einer eigenen Aufnahme vom 19. Juni 2004. Das erste Mal besuchte ich sie nach dem chinesischen Neujahresfest im Jahr 2001. Das Naturphänomen sollte zum Pflichtprogramm jedes Taiwantouristen gehören.

Die Schlucht ist in ihrer Größe äußerst beeindruckend und die hindurch führende Straße, hier auf einem Foto im Mai 2005, legendär. Damit hat auch mein Taiwan-Blog diesen Punkt abgehandelt.

Und wie sagte Marco Polo - was auch hier gilt - auf seinem Sterbebett, als ihn die Nahestehenden bedrängten im Angesicht des Todes, endlich mit seiner irrsinnigen Flunkerei aufzuhören: „Ich habe nicht die Hälfte dessen erzählt, was ich gesehen habe!“

Dienstag, 6. November 2012

Am Rande der Surrealität - Salzeisenbahnen in Taiwan

Die Insel Taiwan, die von den Portugiesen im 16. Jahrhundert „Ilha Formosa“, die schöne Insel genannt wurde, wird für den zeitgenössischen Reisenden häufig zur „Ilha Louco“.

Statt dröge beschaulicher Eisenbahnromantik für ältere Herren findet der Ferrophile auf der Suche nach den Resten von Taiwans Salzeisenbahnen zunächst sexy Cosplayers vor weißen Bergen. Wenn Märklin, Roco, Fleischmann & Co. ihre Produkte so an den Mann brächten, wären sie vielleicht nicht so hart an der Pleite vorbeigeschrammt.

Taiwaner im Schnee? Die These meines Schwiegervaters war, dass Taiwaner nicht auf Schnee leben können. Diese Auffassung wurde klar widerlegt. Sowohl eine seiner Töchter wie auch eine Enkelin verbrachten schneereiche Winter in Deutschland.

Völlig surreal wurde die Suche nach den Resten der taiwanischen Salzeisenbahnen nördlich von Tainan als dann noch der Weihnachtsmann mit seinen Rentieren erschien. Kein Zweifel: Dies muss die „Ilha Louca“ sein!

Es ist keine Schneelandschaft, die Luo You auf der subtropischen Insel umgibt, sondern es sind die Salzfelder und Salinen von Cigu.

Nachdem 1662 der Ming-Getreue Zhèng Chénggōng (鄭成功), auch Koxinga (國姓爺) genannt, die Insel den Holländern genommen hatte und Salz benötigte, begann die Salzgewinnung in den westlichen Küstengegenden von Taiwan.

Wurde früher mit Menschenkraft und Ochsenkarren das Salz abgefahren, begann in der japanischen Kolonialzeit von Taiwan ab 1895 der Transport auf den Salzfeldern mit Feldbahnen. Die Bahnlinien wurden später mit dem Schmalspurnetz der Zuckereisenbahnen verbunden. 1952 wurde das Netz der Salzeisenbahnen mit US-Krediten in Budai (布袋) und Cigu (七股) erneuert. Die Bahnen dienten sogar dem Personenverkehr, etwa um Schüler zu ihren Ausbildungsstätten zu bringen.

Eisenbahnnetze bestanden auf den Salzfeldern von

Budai (布袋), wie auf der Seite von Su I-Jaw dargestellt, und

Cigu (七股), wie hier enthalten. In diesem Ort befindet sich auch das heutige Salzmuseum Taiwans, welches die Geschichte dieses Produktions- und Erwerbszweig zu bewahren versucht.

Seit den 1970er Jahren wurden aus wirtschaftlichen Überlegungen verstärkt Lastkraftwagenzum Salztransport eingesetzt. Ab 1969 begann der Import von Industriesalz nach Taiwan. Damit wurde der Niedergang der klassischen taiwanischen Salzproduktion eingeläutet. Trotz aller Rationalisierungsbemühungen war die heimische Salzproduktion vor allem wegen der Kostenstruktur und ungünstiger Wetterbedingungen nicht mehr wettbewerbsfähig.

Eingestellt wurde 2002 nach 338 Jahren Betrieb die mechanische Salzproduktion in Cigu (七股). Auch heute wird noch in Taiwan Salz hergestellt. Produktionsstätte ist insbesondere in der Fabrik von Taiyen oder Taiwan Salt (台鹽) in Tunghsiao (通霄), die mittels Elektrodialyse Salz gewinnt. Ansonsten wird das meiste in Taiwan benötigten Salz über den Hafen in Taichung aus Australien eingeführt.

So sind von den Salzeisenbahnen nur korrodierte Relikte und Denkmäler, Dokumente und Museumsstücke in einer fremdartigen vom Menschen geformten Landschaft übrig geblieben, die Wandel und Vergänglichkeit repräsentieren, aber trotzdem die Freude an einer spaßigen Gegenwart und Neugier auf kommende Skurilitäten in der Zukunft erlauben.